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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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hier in der Stadt genug junge Männer, die sich für Philosophie interessieren und die Lorenzo und seine Gärten noch immer vermissen. Männer, die sich mit Aristoteles beschäftigen, mit Epikur und mit Ovid. Sie klopfte heftig mit einem Ästchen auf den Brunnenrand und schaute mich prüfend an. Bei Euch in Florenz durfte ja nicht einmal mehr laut gesagt werden, daß Epikur nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaubt, sagte sie dann, als sei ich der Urheber solcher Verbote. Bei uns darf man so etwas sagen. Und sei's nur hier bei uns im Lehrsaal oder in meinem Garten.
    Aber inzwischen ist diese Engherzigkeit im Denken doch längst vorbei, beeilte ich mich zu sagen, in dem starken Drang, diese Stadt zu verteidigen, die die Last von Savonarolas Tyrannei abgeschüttelt hatte und sich wieder dem zuwandte, aus dem sie der frate vertrieben hatte: der Lust am Leben.
    Sie schüttelte den Kopf. So etwas hält an, sagte sie nachdrücklich, vor allem bei den fanciulli .
    Ich lächelte und sagte: Zu den Knaben gehöre ich schon lange nicht mehr.
    Das ist mir klar, gab sie zu, aber diese Bereitschaft, sich zu unterwerfen, verliert sich nicht von einem Tag auf den anderen. Und wenn ich Euch einordnen soll, so scheint Ihr mir mehr ein Mensch des vergangenen Jahrhunderts zu sein als einer aus diesem.
    Ich stand langsam auf, da ich sah, daß sie den Brunnenrand verließ und zu mir herüberkam. Und ich hörte im gleichen Augenblick die Sätze wieder, die Savonarola uns einst gepredigt hatte: ›Begreife Florenz, was ich dir heute sage, begreife, daß Gott es mir eingegeben hat … Tu, sage ich dir, vor allem zwei Dinge, die ich dir schon oft gesagt habe, nämlich jeder soll beichten und sich von den Sünden reinigen.‹
    Legt Euch bei Eurer Arbeit keinen Zwang auf! rief sie zurück, als sie mich mit ihrem Rosenkorb verließ. Ihr dürft Eurer Phantasie freien Lauf lassen. Ein dionysisches Gelage mit Bacchantinnen und Mänaden wäre durchaus in meinem Sinn. Malt einfach die Freude und was Euch dazu einfällt! Und vor allen Dingen: Habt keine Scheu vor dem nackten menschlichen Körper! Die Leibfeindlichkeit des frate ist die größte Sünde wider den Schöpfungsakt, die er den Menschen hinterlassen hat, ein Irrtum, an den immer noch welche glauben.
    Der Raum, den ich ausmalen sollte, war ein kühler Raum, aber Gott sei Dank nicht feucht. Er lag neben der sala und war nicht besonders groß, aber immerhin fanden in dieser ehemaligen Kapelle gut zwanzig Menschen oder gar mehr Platz.
    Ich blieb mindestens eine halbe Stunde in dem Raum sitzen, hatte einen Skizzenblock auf meinen Knien und verteilte Figuren auf die Wände – im Kopf zunächst, wie ich dies immer zu tun pflege.
    Zunächst jedoch spürte ich nichts als Unsicherheit. Niemand, der etwas anordnete, niemand, der mir sagte, was wohin gemalt werden solle, wer mit wem dargestellt werden müsse. Ich fühlte mich im luftleeren Raum, und nach einer Stunde des Nachdenkens war ich nahe daran, Nardos Mutter oder ihn zu bitten, mir genaue Anweisungen zu geben. Ghita kam für einen kurzen Augenblick an die Tür, winkte aber sofort ab, als ich mit meinem Skizzenblock zu ihr kommen wollte. Es ist Nardos Haus, eines Tages, sagte sie.Und er läßt Euch vollkommen freie Hand. Nardo aber hatte gesagt: Es ist Ghitas Kapelle. Ich fürchtete, meine Arbeit würde nicht ganz einfach werden. ›Malt einfach die Freude‹ – ich hatte noch nie einen absurderen Auftrag bekommen als diesen. Bis jetzt hatte unsere compagnia nichts anderes dargestellt als das Elend dieser Welt und die Hoffnung auf das Jenseits. Für die Freude waren wir nie bezahlt worden.
    Ich verbrachte den Vormittag in der Bibliothek, versuchte mir vorzustellen, was Ghita unter diesen ›Bildern der Freude‹ verstand, und geriet in meiner Phantasie gefährlich in die Nähe von Orgien. Ich fragte mich, ob sie wohl als Bacchantin dargestellt werden wolle und ob ich wirklich Mänaden malen solle. Ich fragte mich auch – dies tat ich noch immer ziemlich häufig –, was Savonarola dazu sagen würde, wenn ich nackte Körper malte. Ich, der bisher nie welche gemalt hatte. Im Grunde hatte ich weitgehend nur Stückwerk gemalt. Von Rocco begonnene Figuren, ohne ausgemalte Gesichter, Arme, Beine, die er mir zur Vollendung überließ. Und so hatte ich nie das Gefühl gehabt, es sei mein Bild gewesen, das eines Tages zur Tür hinausgetragen wurde.
    Ich bewegte mich zwischen den Bücherregalen, die bis zur Decke reichten, und wagte kaum zu

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