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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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oder mit weiß Gott wem, um die verrücktesten Pflanzen auszutauschen und zu züchten. Sie liefert sogar Samen bis in den Orient, sagte Nardo mit einem kurzen Blick zu mir herüber.
    Seine Mutter strich sich über die Haare, gähnte verstohlen hinter der Hand und warf dann einen prüfenden Blick über ihre Apparaturen – ein Kolben köchelte noch leise vor sich hin, warf ein gespenstisches Licht über den Raum, als Nardo die Fackeln und Kerzen löschte.
    Nun, kann Euch Venedig gefallen? fragte Ghita leise, als wir gemeinsam die Treppe hinaufstiegen. Ich dachte mir immer, daß Ihr es vielleicht interessant finden würdet, mit mir zusammen den ›Stein der Weisen‹ zu finden.
    Ich konnte vor Müdigkeit nur noch stumm mit dem Kopf nicken, und ich war mir keinesfalls sicher, wie ich Venedig bis jetzt fand. Und ob sie mit dieser doppelzüngigen Frage überhaupt Venedig meinte. Ich stellte mir vor, was sie in Florenz im Atelier darüber sagen würden. Ein Gedanke, der mich mit Scham erfüllte, weil er mir klar machte, daß ich bis jetzt kaum mehr an unsere compagnia gedacht hatte – sie war Welten entfernt. Rocco, Daniele, Vincenzo: Es konnte nur so sein, daß ich sie nicht mehr brauchte. Ein Gedanke, der mich erschrecken ließ.
    Doppelt erschrecken ließ, als ich dabei an Brigida dachte.
    Am anderen Morgen schien alles vergessen, was in der Nacht geschehen war. Keiner erwähnte die Begegnung, es war, als wären wir alle acht Stunden im Bett gewesen und hätten den Schlaf der Gerechten geschlafen.
    Nardos Mutter nahm mich mit in ihren Garten, zeigte mir die Samen, die sie in Kürze in den Orient schicken wollte, und welche Pflanzen für Wien vorgesehen waren. Sie erzählte mir von ihrer Reise nach dort, die sie vor kurzem gemacht hatte und bald wieder machen wolle. Allein, sagte sie stolz, ohne Nardo, nur mit den beiden Dienern.
    Meine Arbeit ging zäh voran in den nächsten Tagen. Fast wünschte ich mir, morgens wieder eine Rose vorzufinden. Aber ich entdeckte keine. Ich hätte nicht einmal sagen können, worin meine Schwierigkeiten bestanden, sie waren da und ließen mich an meinen Fähigkeiten zweifeln. Ich war ein braver, folgsamer Maler gewesen bisher, hatte das vorgekaute Essen gegessen, mit dem mich Rocco gefüttert hatte, ich hatte wenig Skizzen gemacht, obwohl ich die Fähigkeiten dazu hatte: Ich konnte mit ziemlicher Geschwindigkeit Beine, Arme, Rücken, Bäuche und Brüste zeichnen, und ich hatte dieses Talent bereits des öfteren unter Beweis gestellt, wenn es galt, eine Situation draußen im Freien rasch festzuhalten. Einmal hatte ich sogar einen Raubüberfall skizziert, dessen Zeuge ich durch Zufall war, und ich konnte später den Sbirren damit wertvolle Hinweise geben.
    Also durchstreifte ich wieder die Stadt, mit der gleichen Neugier und zugleich mit schlechtem Gewissen. Wieder setzte ich mich in jene finstere Kirche mit dem abblätternden Putz, die ich die Namenlose nannte, obwohl sie gewiß einen Namen besaß. Diesmal war es Tag, und ich hoffte, eines der Bilder könne mich inspirieren, obwohl ich kaum erwarten konnte, daß es hier ›Bilder der Freude‹ gab, auf denen Bacchantinnen zu sehen waren.
    Ich schlenderte durch die Stadt und versuchte, mir die einzelnen Stadtteile zu merken: San Polo, San Croce, Castello, Dorsoduro, Cannaregio – aber außer in San Marco mit dem Dom und dem Dogenpalast, den ich natürlich immer wieder fand, hatte ich nach wie vor Schwierigkeiten, mich in dem Gewirr von kleinen Gassen zurechtzufinden. Blitzartig nahm ich Bilder wahr, die nur kurz im Gedächtnis haftenblieben: ein Buchhändler auf der Rialtobrücke, der mit trotzigem Gesicht ganz offensichtlich verbotene Bücher unter dem Ladentisch verkaufte; ein Mann mit einem gelben Ring auf seinem Gewand, dem eine Gruppe von wilden Kindern Mose hinterherbrüllte, so daß ich vermutete, es handle sich um einen Juden; eine alte Frau, die mit verkniffenem Gesicht ein Blatt Papier in la bocca , den geöffneten Mund, am Dogenpalast schob, wahrscheinlich eine Denunziation, von denen es angeblich Hunderte am Tag gab; ein Dieb, der gejagt wurde und sein Diebesgut in Windeseile in einen Eimer fallen ließ, der auf der Straße stand. Gesichter, die sich einprägten, für eine Sekunde vielleicht, und wieder verlorengingen.
    Und während ich dies alles sah, jagten sich die Gedanken in meinem Kopf. Einer verdrängte den anderen, wollte besser sein als sein Vorgänger, und alle wollten mir einträufeln, daß ich fähig sei, ein

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