Der Brennende Salamander
Brigida vermutlich noch länger bei der Amme in der Toskana gelassen hätte, wenn dies möglich gewesen wäre. Diese Tochter aus zweiter Ehe hatte ihrem Herzen nie nahegestanden, und daß sie klüger war als ihre älteren Söhne, hatte sie ihr nie verziehen. Sie kann ja schon lesen! hatte sie eines Tages voller Entsetzen gesagt, als Brigida ihr voller Stolz von einer Tafel die ersten Sätze vorlas. Sie ließ daraufhin ihre älteren Söhne in das Zimmer rufen, legte ihnen ein Buch vor und forderte sie auf, den Text zu lesen. Garcia fing bei dem strengen Tonfall der Mutter sofort zu weinen an, und Michele bekam einen seiner Hustenanfälle, die er stets dann hatte, wenn ihm etwas nicht behagte.
Wir liebten sie also alle nicht, diese Mona Orelli, und wenn sie gar gewußt hätte, welchen jungen Künstlern ihr Mann seine Gunst schenkte, so wäre sie gewiß fähig gewesen, uns noch am gleichen Tag aus dem Haus zu werfen, zumindest Rocco und mich. Aber sie wußte es – Gott sei gelobt – nun einmal nicht. Was in Florenz während jener denkwürdigen Tage vor dem ›Feuer der Eitelkeiten‹ geschah, hatte sie nicht erlebt, weil sie auf Reisen gewesen war. Und das war gut so. Denn wenn sie gesehen hätte, wie wir beide damals in ihr Haus einbrachen und den Tand, den Savonarola für sein großes Autodafé gefordert hatte, in großen Säcken zu dem talamo schleppten, wären wir ganz gewiß nicht der Gnade teilhaftig geworden, später einmal im Haus des Messer Orelli zu wohnen. Aber dies alles lag weit zurück, auch wenn wir Jungen, die Savonarola einst mit Haut und Haaren gehörten, es nicht vergessen hatten und – ich bin sicher – es nie vergessen werden, weil wir nie wieder in unserem ganzen Leben diese wilden Gefühle, die zum Himmel stürmten, haben würden. Nie wieder würde es jemanden geben, der stark genug war, uns ähnliches zu vermitteln. Wir waren damals nicht mehr wir selbst, wir waren andere, von Kopf bis Fuß. Ich hatte auch eine andere Frisur, die Haare kurz bis zu den Ohren, wie der Mönch es von seinen Jungen forderte, und über Roccos Stirn lief bereits jene Narbe, die – aus seiner Sicht – eine Opfergabe an Savonarola war. Sie verleiht heute seinem Gesicht diesen dämonischen Ausdruck, der sämtliche Frauen in seinen Bann zieht.
Heute früh der Morgen der Nebelfetzen.
Sie hängen über dem Tal, berühren an einer Stelle den Himmel, schneiden Streifen aus der Landschaft, man kann sehen, wie es oben aussieht, wie unten, die Mitte bleibt schemenhaft verhüllt. Ich sehe nun, daß das rätselhafte Radfragment der Teil einesriesigen Mühlrades ist. Es ragt mit seinen zerborstenen Schaufeln wie ein Mahnmal aus dem Geröll heraus, als wäre es der Ankläger wider dieses Naturereignis.
Aber heute berührt mich dies alles nicht. Heute ist, als hätte es kein Beben gegeben, als lebte ich im luftleeren Raum. Irgendwo und überall, aber nicht in diesem zerstörten Tal.
Heute gehe ich nach Jerusalem.
Ich schreite in mein Bild hinein, das ich gestern begonnen habe. Ich lasse die Mauern der Stadt vor mir emporwachsen, einen schmalen sandigen Pfad zwischen das saftige, helle Grün schlängeln, ich ahne die Regenwürmer unter der aufgeworfenen Grasnarbe. Ich spüre die Erregung, die mich ergreift, je tiefer ich mich in das Bild versenke. Ich atme die klare Luft der Höhe, schmecke sie auf meiner Zunge, rieche den Frühling. Ich bewege mich in dieser fremden Landschaft, die ich im Geiste schon hundertmal durchschritten habe, lasse mich in sie hineinfallen, mache sie zu meiner Umgebung, als sei ich nicht weit entfernt im Norden, sondern höre hier in diesem Augenblick die Vögel singen.
Ich bin in der Heiligen Stadt. Ich sehe vor mir ihre blauen und goldenen Kuppeln, ein Bild, das ich schon seit Jahrzehnten in mir trage. Oder seit Anbeginn aller Zeiten. Die Sonne wirft lange Schatten. Es ist früh am Morgen.
Ich lasse die Mauer nun schrumpfen; je weiter sie sich vom Betrachter entfernt, desto kleiner wird sie. Dagegen sind die Felsen im Vordergrund, an der Bildkante, wuchtig; ich kann sie berühren, wenn es mich danach verlangt. Ich spüre ihre runde Wölbung unter meiner Hand, es fühlt sich an wie ein samtiges Tier, das die erste Sonne genießt. Die Mauer dagegen bleibt weit entfernt, sie verläuft irgendwo im Unendlichen. Ich lasse die Linien sich treffen nach ihrem Gesetz. Schon lange denkt mein Kopf nicht mehr an bestimmte Worte, sie haben sich losgelöst, als gehörten sie schon immer zu uns. Es gelingt
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