Der Brennende Salamander
mißachte Mauern und Wände, tue so, als gehöre ihm alles, wovor er bisher noch Respekt zeigte. Öffne ich ein Fenster, so schlüpft er blitzschnell herein, wabert sich dann ganz langsam durch die Räume, liegt auf dem Boden, den Fluren. Ich frage mich, ob dies überhaupt noch Nebel ist und nicht irgendein weißlich grauer Zauberteppich mit einem seltsamen Muster. Oder ein überdimensionales Haustier, ein Geisterhund vielleicht, der schon immer hier lebt und nun mir gegenüber seine älteren Rechte deutlich machen will. Aber eigentlich stört mich der Nebel nicht allzusehr. Es ist fast so, als gäbe er mir Gelegenheit, noch tiefer in meine Arbeit zu versinken. Ich spüre, daß er mir Geborgenheit gibt und mich damit auch unerreichbar macht. Doppelt unerreichbar.
Ich habe mich eingelebt in dieses Haus, in mein Inseldasein. Ich esse, wann immer ich Hunger habe, ich schlafe, wenn ich müde bin, ich trinke, sobald ich Durst verspüre. Ich bin dem ewig gleichmäßigen Tagesrhythmus des Hauses am Arno entronnen, ich lebe wieder mein eigenes Leben, das manchmal morgens, noch ehe der Tag kommt, beginnt, und das bis spät in die Nacht hinein dauern kann, wenn ich eine bestimmte Stelle an dem Wandbild noch zu Ende malen möchte. Und ich komme mir auch nicht sündig vor, wenn ich nicht nur die Essenszeiten des Tages mißachte, sondern auch die Fleischtage mit den Fasttagen verwechsle. Was interessiert mich schon ein Quatember, ein Bittag vor bestimmten Festen oder die Regel, daß an bestimmten Tagen keine Eier, kein Käse, kein Quark und keine Milch verzehrt werden dürfen. Ganz davon abgesehen, daß ein Erdbeben ohnehin seine eigenen Gesetze nach sich zieht und ich das essen muß, was der Keller mir bietet. Und ich werde alles mit Lust essen. Und mich nicht kasteien mit sonderbaren Überlegungen: Was ein Fisch ist, bestimme ich. Und selbst einen Biber, falls ich einen treffen sollte, werde ich zu den Wassertieren rechnen, schließlich hat er einen geschuppten Schwanz.
Ich habe mich so gut eingelebt in dieses Haus, daß ich ganz anders durch die Räume gehe als in den ersten Tagen. Ich fühle mich nicht mehr von ihnen ausgeschlossen, zurückgewiesen, und ich lasse sie dies wissen. Ich gestatte mir, die Bilder an den Wänden anders zu betrachten als zuvor. Nicht mehr unterwürfig, sondern so, als hätte ich sie soeben selber gekauft und erfreue mich an ihrem Hiersein. Bin ich ganz mutig, und gefällt mir ihre Nachbarschaft nicht, hänge ich sie sogar um.
Ich erlebe diesen Ausnahmezustand inzwischen auch nicht mehr als mögliche Gefährdung. Ich trete selbstbewußter auf, nicht mehr so zögerlich, als sei der Boden durch das Beben so brüchig, daß er bei jeder stärkeren Belastung unter meinem Gewicht einbrechen könne.
Ich ertappe mich sogar dabei, wie ich den Gang von Messer Orelli nachahme. Ich halte den Kopf leicht nach der Seite geneigt, ziehe die Stirn in Falten, als müsse ich tiefgründige Entscheidungen treffen. Ich probiere sogar, seine Stimme zu imitieren. Ich lasse seine Frau ihm antworten. Ich lasse Brigida lachen. Ich bin keiner der innocenti mehr, ich bin der reiche Seidenhändler Orelli mit den fehbesetzten kostbaren Gewändern, in denen er sich kürzlich hat malen lassen, um zu zeigen, wer er ist.
Ich führe also Selbstgespräche und weiß, könnte Rocco sie hören, er würde nur den Kopf schütteln. Manchmal frage ich mich wirklich, sagte er einmal stirnrunzelnd, weshalb du Maler geworden und nicht zu den Gauklern gegangen bist.
Heute abend dann das Klopfen an der Haustür.
Ich saß bei Kerzenlicht und Wein in der Küche, aß von meinem Hasenpfeffer, den ich in einer Essigbeize vorgefunden und mir dann zubereitet hatte. Und ich erschrak bei diesem unerwarteten Geräusch so sehr, daß mir der Becher aus der Hand rutschte und der Rotwein sich auf den Fußboden ergoß. Zunächst dachte ich, ich hätte mich verhört und es sei ein Ast, den derWind ans Haus trieb. Aber dann war das Klopfen ein zweites Mal zu hören und diesmal um eine Spur ungeduldiger.
Ich schloß mein offenes Wams, strich mir über die Haare, dann schlich ich mich im Dunkeln – den Weg durch die aufgeworfenen Kacheln kannte ich inzwischen so gut wie die Tasche meines Wamses – zur vorderen Haustür, deren Riegel ich notdürftig repariert hatte. Dabei gingen mir tausend Geschichten von Dieben, Plünderern, Strolchen und anderem unlauteren Gesindel durch den Kopf.
Ich öffnete die Tür also zunächst nur einen Spaltbreit und hielt die
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