Der Brennende Salamander
holte mir eine Schüssel voll Wasser aus der Regentonne, wärmte es auf dem Herd und wusch mich dann gründlich, als erwarte ich Besuch. Ich kämmte mir sorgfältig die Haare und zog ein sauberes weißes Hemd an. Das Buch, das ich mir dann aus der Bibliothek holte, die ›Ars amatoria‹ von Ovid, stand allerdings im krassen Widerspruch zu diesem symbolischen Akt der Reinheit, über deren Verlust ich auch heute noch grüble, ohne recht zu wissen, weshalb.
Ich gehe durch die Stadt, meine Heimatstadt Florenz. Es ist Palmsonntag. Wir sind viele, die an diesem Sonntag durch die Stadt ziehen, es heißt, wir seien achttausend. Eine Zahl, die niemand begreift, schon gar nicht die jüngsten von uns, die soeben sechs Jahre alt sind. Manche haben sich auch unter uns geschmuggelt, die erst fünf sind, damit sie teilhaben dürfen an diesem Fest, das wir nie vergessen werden.
Wir sind weiß gekleidet, allesamt. Auf dem Kopf tragen wir Kränze aus Olivenzweigen, unsere Haare sind abgeschnitten bis an die Ohren, in der Hand schwenken wir ein rotes Kreuz. Die Banner der Stadtviertel, aus denen wir kommen, werden vorangetragen. Wir, die innocenti, sind mehr als die aus den übrigen Stadtvierteln, allein in diesem Jahr sollen mehr als fünfhundert in die pila gelegt worden sein, wobei man nie weiß, ob es auch stimmt.
Wir führen den Zug an, marschieren gleich hinter dem Tabernakel, auf dem Jesus Christus zu sehen ist. Die Jungen als erste, dahinter die Mädchen, von denen die jüngsten ebenfalls erst sechs Jahre alt sind. Dann kommen die Priester und die priore, die Zunftvorsteher von Florenz. Mit Abstand dann die Eltern derer, die das Glück haben, welche zu besitzen.
Wir rufen: Lang lebe Christus, unser König! Wir schwingen das rote Kreuz, obwohl unsere schwachen Arme bald erlahmen, aber wir halten durch. Wir sind die Jugend, die, auf die es ankommt in dieser Stadt, die von Savonarola, dem (rate, regiert wird. Auf uns werden eines Tages alle Lasten ruhen, wir werden sie tragen mit Stolz. Wir gehören Savonarola, er hat es uns gesagt.
Am Straßenrand tanzen Männer und stimmen in das Loblied auf unseren Herrn ein: Vivo Cristo! Vivo Cristo! Ich spüre, wie mein Gewand an meinem Rücken festzukleben beginnt, ich spüre, daß ich nicht so kräftig bin, wie ich immer geglaubt habe, ich spüre, wie ich das Kreuz nicht mehr hoch in der Luft schwenken kann, sondern daß es, je länger wir gehen, ganz langsam nach unten sinkt.
Trotzdem würde keiner von uns zugeben, daß wir nicht stark genug sind, diese Kreuze zu tragen. Nicht einmal die Kleinsten. Einer der Fünfjährigen, ich kenne ihn, er gehört zu den innocenti, trägt sein Kreuz wie die Größeren auch.
Wenn ich mich umwende, kann ich Brigida sehen. Sie läuft in der zweiten Reihe der Mädchen, hat offensichtlich Mühe mit ihrem Kreuz, dessen Farbe sich bereits aufzulösen beginnt. Sie schaut auf ihre Hände, sieht sich dann erschrocken um, versucht eine Hand an der anderen abzuwischen. Aber die Hände bleiben rot, als ob das Blut des Gekreuzigten über sie hinunterrinne. Ich spüre ihre Angst, gehe zwei Schritte zurück, reiche ihr mein Kreuz und übernehme das ihre.
Ich sehe, wie auch meine Hände sich langsam rot färben. Ich schließe die Augen. Wir sind vereint. Wenn es Blut wäre, wäre es unser Blut, unser gemeinsames.
Wenn ich mich später an diese Szene erinnerte, tat ich dies nie ohne Lächeln. Ich sagte mir, es waren Schwärmereien unserer Jugendzeit. Aber ich wußte ganz genau, daß es mehr war als das. Wir waren bereit, Savonarola zu folgen, wir wollten ihm gehören, ganz und gar. Wir waren bereit, für ihn durchs Feuer zu gehen, und als sie dies später von ihm forderten, erklärten sich viele dazu bereit, es für ihn zu tun. Auch bei uns sagten einige – ich gehörte nicht zu ihnen –, daß sie dazu bereit wären, zu diesem Durchsfeuergehen.
Und da es Savonarola war, der mit uns diese Prozession durch die Stadt veranstaltete, war es ganz gewiß auch kein Teufelswerk, wie diese Spektakel zu seinen Zeiten bezeichnet wurden.
Heute bereits der zehnte Tag meines Inseldaseins.
Der Nebel ist inzwischen voll und ganz zurückgekehrt und noch dichter als am ersten Tag. Er zieht nun nicht mehr in Fetzen über das Land, er hüllt alles ein und reicht jetzt bis an die Villa heran, so daß ich heute kaum mehr mein Pferd sehen konnte, als ich es füttern wollte. Es scheint mir sogar, als dringe er auch in das Haus, als erweitere er Stunde um Stunde sein Terrain,
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