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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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alten Gondel.
    In der ehemaligen Kapelle.
    Ich kam auf viele Orte. Auf ihre Gemächer kam ich nicht. Ich hatte sie nie zuvor gesehen.
    Meine Arbeit ging gut voran nach jener Nacht der Obsessionen. Ich wählte meine Farben mit einer Sicherheit, die ich nie zuvor gekannt hatte. Ich ließ Dionysos auf einem Wagen über das Deckengewölbe dahinstürmen inmitten der Schar der Bacchantinnen, die Mänaden stoben hinter dem Wagen drein, gelenkt von Priapus, dem Gott der Gärten und der Fruchtbarkeit. Wären ihre Lustschreie hörbar gewesen, man hätte sie hoch am Himmel über der Stadt vernehmen müssen.
    Abends, wenn ich müde war und auf mein Lager fiel, bisweilen ohne die Kleider zu wechseln, schlief ich meist in der gleichen Sekunde ein. Dann erwachte ich wieder. Eine innere Uhr gab mir den Befehl, gegen Mitternacht aufzuwachen. Ich säuberte mich und stieg hinab in das Laboratorium. Mitunter auch allein. Im Haus des Messer Orelli hatten wir unsere Glasgefäße bisweilen selber geformt, Daniele kannte sich darin aus, da er für kurze Zeit bei einem Glasbläser gearbeitet hatte. Jetzt wies mich Ghita in diese Kunst ein, und schon bald war ich in der Lage, zumindest einfache Kolben und Retorten für sie herzustellen. Je weniger nach draußen dringt, sagte sie einmal, desto besser ist es. Inzwischen war ich vertraut mit ihren Versuchen. Ich wußte ziemlich genau, wann der nächste bevorstand, schlug vor, wie wir ihn gestalten, wie wir Schritt für Schritt vorgehen sollten. Miteinander. Es war wie eine Wippe: Mal war ich der Ratgebende, mal sie. Schüler und Lehrer in einem.
    Und dann endlich die Transmutation. Nicht dasZiel der Alchimisten, aber eines davon. Ausgangspunkt war, daß es möglich sein müsse, unedle Metalle in edle verwandeln zu können, zum Beispiel Blei oder Quecksilber in Gold. Unter Mithilfe des Steins der Weisen, wobei es vor allem um die Läuterung des Adepten ging, um sein Eindringen in die höheren geistigen Welten, in erster Linie also nicht um die Veränderung des Stoffes. Der Stein der Weisen war wiederum das Endprodukt einer ganzen Reihe aufeinanderfolgender Schritte aus der Materia prima, Dinge, die ich im Laufe der Wochen erfahren hatte, ohne den Zusammenhang genau zu verstehen: 1. Die Verflüssigung der Materia prima in Merkurialwasser. 2. Das Resultat wird im Bauch der Erde vergraben, verfärbt sich dabei schwarz (das Symbolbild für den Raben) und fault. 3. Die Verfärbung geht zurück, der Rabe verwandelt sich in eine weiße Taube. 4. Die Materie wird mit Lacta philosophica gefüttert und verfärbt sich gelb. 5. Das Resultat verwandelt sich in Rot und wird 6. zum roten Drachen, wenn der Vorgang geglückt ist. Bei der 7. Stufe wird das Material in die feste Form zurückgeführt. Der Besitz des Steins der Weisen wird als ›Magisterium‹ bezeichnet.
    Wie dieser ›Stein‹ aussehen sollte, dazu gab es verschiedene Aussagen: Bei den einen war er schwer und rubinfarben wie ein Granat, bei den anderen farblos und durchsichtig wie Kristall. Wieder andere wollten ihn weich wie Harz oder pulverförmig wie Safran oder schimmernd wie zerstoßenes Glas.
    Alles, was Ghita mir zeigte, hatte verschiedene Ebenen, war Wissen hier auf der Erde und zugleich Einweihung in höhere Welten: Die Conjunctio war losgelöst von allem, was ich bisher gelernt hatte. Sie konnte bedeuten, daß der Drache nur dann zu töten war, wenn er gleichzeitig von Bruder und Schwester getötet wurde. An anderer Stelle hieß es, daß die Frau den Mann auflöse und dieser die Frau fest mache, was meinte, daß der Geist den Körper auflöst und weich macht und der Körper den Geist fixiert.
    Ich gebe zu, daß ich große Schwierigkeiten hatte, all das zu glauben, was ich in jenen Tagen hörte und las. Und zugleich bereitete mir dieses Wissen keinerlei Schwierigkeiten, weil es mir schien, als habe ich alles von Anbeginn der Zeiten gewußt und Ghita habe es mir lediglich wieder ins Gedächtnis gerufen.
    Weil es schon immer für uns bestimmt gewesen war.
    Nach Tagen kam Nardo zurück.
    Wir saßen zusammen am Tisch in der sala , und ich hatte das Gefühl, als sei Nardo unser Besuch, mit dem wir uns freundlich und höflich zu unterhalten hatten. Diesmal gab es keine unsichtbaren Fäden, die Nardo und seine Mutter umfingen – es gab nur einen, der Ghita und mich verband, zumindest aus meiner Sicht. Das ganze Essen über hatte ich das Gefühl, als stehe Höflichkeit im Vordergrund, nicht Herzlichkeit. Er erkundigte sich nach meiner Arbeit,

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