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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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rannten die Treppe hinunter, stürmten durch den androne , wo wir die beschädigte Gondel fast umwarfen, und standen dann im Garten. Ghita deutete erregt und glücklich wie ein Kind zum Himmel: Über die Lagune spannte sich ein Regenbogen. Ein vollkommener Regenbogen, nicht nur ein Bruchstück, das man sich in seiner Vorstellung zum Halbkreis ergänzen muß.
    Habt Ihr je einen solch vollkommenen Regenbogen gesehen? fragte sie, schob ihren Arm durch den meinen, was sie bisher nie getan hatte, und zog mich an den Kai, so daß ich den Anfang und das Ende des Bogens sehen konnte.
    Habt Ihr je so etwas gesehen? wiederholte sie, als ich nur schweigend neben ihr stand und zum Himmel emporschaute.
    Ich nickte. Einmal, nur ein einziges Mal.
    Und wo?
    In Florenz, als ich noch im Ospedale war.
    Und? Was habt Ihr getan, damals?
    Ich sah sie verblüfft an. Was hätte ich tun sollen?
    Nun, hinaufsteigen, sagte sie atemlos. Man steigt hinauf, wenn man Zeuge einer so ungewöhnlichen Himmelserscheinung wird, wißt Ihr das nicht?
    Ich lachte. Der Junge, der damals bei mir war, sagte dasselbe. Hinaufsteigen, jeder von einem Ende aus, und sich in der Mitte treffen. Dann hat man einen Wunsch frei.
    Und? Habt Ihr's getan?
    Nein, ich hatte damals wohl wenig Vertrauen, weder zu diesem Jungen noch in den Regenbogen. Und ich wollte dort oben auch niemanden treffen. Es ergab keinen Sinn.
    Und, sie sah mich prüfend an, hättet Ihr zu mir Vertrauen?
    Ich löste meinen Blick vom Himmel und schaute sie an. Zu Euch?
    Nun, was ist so seltsam daran?
    Ich zuckte mit den Achseln. Vermutlich nichts. Aber …
    Aber?
    Ich weiß nicht.
    Ihr wollt da oben niemanden treffen noch habt Ihr einen Wunsch parat? fragte sie gespannt.
    Ich löste meinen Arm aus dem ihren. Vielleicht hätte ich auch nichts weiter als Angst.
    Nicht mehr herunterzukommen?
    Ich dachte nach. Ja. Das wird es wohl sein. Oder Angst überhaupt.
    Sie sah mich kurz an und kniff die Augen zusammen. Aber wäre es nicht bereits Lohn genug, dort oben gewesen zu sein? Einmal in seinem Leben das Gefühl gehabt zu haben, dem Himmel nahe, ganz nahe gewesen zu sein und wieder zurück zu dürfen?
    Der Regenbogen begann inzwischen an seinem einen Ende zu verlöschen. Das Orange blieb noch für eine winzige Zeitspanne stehen, dann kroch es in das Gelb hinüber, verblaßte und war verschwunden. Dann brach die Mitte des Bogens in sich zusammen, ließ die beiden Rudimente ungestützt am Himmel zurück, bis auch sie sich in den Wolken auflösten.
    Wir standen nebeneinander und blickten weiterhin zum Himmel, obwohl es dort inzwischen nichts mehr zu sehen gab.
    Ich halte Euch von Eurer Arbeit ab, sagte sie nach einer Weile. Entschuldigt! Dann verließ sie mich.
    Ich blieb stehen, spürte, wie mir der Schweiß den Rücken hinunterlief, und wünschte, Nardo wäre wieder zurück. Und schützte uns voreinander. Seine Mutter und mich.
    Erst als ich in die ehemalige Kapelle zurückging, fiel mir ein, weshalb sie dieser Regenbogen vermutlich so sehr erregt hatte: Zwar hatte sie Iris, Junos Botin, die die weiblichen Seelen in den Hades begleitet, nicht erwähnt, aber ich war ganz sicher, daß sie den Mythos kannte. Genauso wie Hermes die männlichen Seelen behütete, wenn sie sich vom Körper lösen wollten, bedeutete dies in der Alchimia die Sublimierung, ein Akt, bei dem die Regenbogenfarben entstanden wie ein Pfauenschwanz: der Regenbogen als Symbol für das Ziel der Alchimia.
    Und wieder lag ich in der Nacht wach, spürte die Härte der Pritsche und fragte mich, weshalb ich eigentlich nicht mit ihr hatte auf diesen Regenbogen hinaufsteigen wollen, auch wenn das Ganze nur ein Phantasiegebilde gewesen war. Und ich wußte zugleich, daß keine Frage nötig war: Ich hatte gespürt – und dies nicht erst heute –, wie unsere Schritte im Laufe der Wochen immer rascher aufeinander zugegangen waren. Je mehr wir gemeinsam erlebten, desto näher kamen wir uns, und manchmal fragte ich mich, ob da überhaupt noch ein meßbarer Abstand war. Ich spürte mit zunehmender Erregung, wie ich mich in den Windungen dieser Frau verlief, wie ich mich verzweifelt bemühte, Abstand zu ihr zu halten, und zugleich wußte, daß ich diesem Sog nicht mehr lange würde standhalten können. Irgendwer in Florenz hatte mir einmal erzählt, wie er sich einmal in einem Labyrinth verlaufen hatte und zwei Stunden damit verbrachte, den Ausgang wiederzufinden. Genauso fühlte ich mich. Ich hätte auch nicht beschreiben können, was mich mit dieser

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