Der Brennende Salamander
Kopf und niedergeschlagenen Augen durch die Straßen gingen. Angesichts ihrer dunklen, schlichten Röcke vermißte ich die, bei denen eine Hälfte aus Scharlachtuch und die andere aus schwarzer Seide war, die Tuniken mit eingewebten, farbenfrohen Schmetterlingen, die Kleider aus blauem Brokat mit gelben Sternen und die purpurfarbenen Mäntel mit weißen Rosen und flatternden Vögeln. Dies alles gehörte noch immer nicht wieder zum Bild unserer Stadt und vermutlich würde es auch über lange Zeit nicht dazu gehören.
Aber nicht nur die Alten, Männer und Frauen, huldigten Savonarola und trauerten ihm nach. Wer als Fremder vor kurzem Daniele hätte sagen hören, daß er Lazzaro die Kehle durchschneiden würde, hätte sich verblüfft gefragt, was bei Gott diesen sanften, friedfertigen Jüngling zu solch einem brutalen Satz gebracht habe. Aber dieser Fremde hätte nie den Grund erraten, es sei denn, er hätte so tief in die Herzen der Menschen blicken können, daß er begriff, aus welcher Schicht dieser Satz kam. Und im Verlauf der Zeit würde es von Jahr zu Jahr immer schwieriger werden, diesen Grund zu erfahren, da der Schleier des Vergessens sich mehr und mehr über alle Zacken und Kanten dessen, was vorgefallen war, legte.
Daher also ist es endlich an der Zeit, darüber zu berichten, was war, daher habe ich beschlossen, diese ricordanze aufzuzeichnen, Erinnerungen, wie Kaufleute sie niederzuschreiben pflegen, um Kunde von ihrem Leben an die Söhne weiterzugeben. Ich möchte alles festhalten, auch wenn die Gefahr besteht, daß jemand diese Blätter in meiner Truhe entdeckt.
Neulich fragte mich Daniele bereits, was ich eigentlich nächtens immer tue, wenn die anderen längst schlafen.
Wieso? fragte ich zurück, obwohl ich seine Antwort natürlich kannte.
Immer wenn ich an deiner Kammer vorbeikomme, sehe ich einen Lichtschein unter der Tür. Dein Wachsverbrauch muß gigantisch sein, du brauchst bestimmt das Dreifache von dem, was wir alle miteinander verbrauchen.
Bis jetzt hat es noch niemanden von der Familie gestört, sagte ich, ohne von meiner Arbeit hochzublicken. Stört es dich etwa? Im übrigen ist es Talg, kein teures Wachs.
Daniele ging an seinen Platz zurück, um die Farben zu rühren, und murmelte dabei etwas vor sich hin, was ich nicht verstand.
Freunde, sagte Rocco, es wäre schön, wenn wir endlich wieder in Ruhe arbeiten könnten. Mich stört es nicht, wenn Ambrogio bis spät in die Nacht hinein liest. Ich lese auch, wenn ich nicht schlafen kann.
Ich war Rocco dankbar, weil er mich verteidigte, überlegte aber zugleich, was er wohl gesagt hätte, wenner gewußt hätte, was ich wirklich tat. Wenn er zum Beispiel gewußt hätte, was ich die Nacht zuvor über ihn geschrieben habe.
Ich weiß nicht recht, weshalb ich Rocco nie davon erzählt hatte. Wir waren Freunde, enge Freunde, seit unserer Kindheit, und doch hatte ich ihm nie erzählt, daß mir diese Blätter an manchen Tagen fast mehr bedeuteten als unsere Freundschaft. Hier mußte ich nie eine Schwelle übertreten, nie überlegen, was ich zurückhalten soll und was nicht. Hier konnte ich mich jemandem anvertrauen, der mich ungeschützt erzählen ließ, nicht unterbrach, der zuzuhören verstand.
Ich will nicht unbedingt sagen, daß dies bei Rocco nicht der Fall war. Natürlich konnte er zuhören, aber trotz allem Vertrautsein blieb bei mir ein Rest Unsicherheit. Was hätte er zum Beispiel gesagt, wenn ich irgend jemandem von jener makabren Prügelei erzählt hätte, die zu seiner Narbe geführt hatte? Oder von jenem unwürdigen Streit, der dieser Prügelei folgte? Wir hatten damals geschworen, daß dies unter uns bleiben sollte und nie über die Mauern des Ospedale hinausdringen dürfe, weil es unserer unwürdig war und dem Ansehen des Hauses draußen geschadet hätte.
Wenn ich des Nachts über meinem Heft saß und die Feder kratzen hörte, wenn ich schrieb, ohne lange nachzudenken, was ich schrieb, wenn ich es aus mir herausfließen ließ, mich nicht mehr wahrnahm dabei, dann hatte ich manchmal das Gefühl, in eineranderen Welt zu sein. Und wenn ich irgendwann erschöpft von meinem harten Schemel aufstand, mich in das Bett fallen ließ und trotz meiner Müdigkeit nicht einschlafen konnte, sondern stundenlang wachlag und grübelte, dann war dies doch etwas, das ich nie missen wollte. Manchmal war ich sogar unsicher, was ich mehr liebte, die Malerei oder das Schreiben. Ich wünschte mir sehnlich, daß es in zehn Jahren noch genauso sein würde,
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