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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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stimmte nicht, zumindest nicht aus meiner Sicht: Wir aßen, tranken, schliefen, lernten und redeten nicht anders als jene Kinder, die ihre Eltern kannten, unser Unterricht war derselbe, und die Zahlen und Buchstaben, die man uns beibrachte, waren die gleichen, die auch Nicht -innocenti lernten.
    Oft überhäufte ich nach solch einem mitleidigen ›Ach so‹ jene gleichgültigen Ach-so-Menschen mit einem ganzen Katalog von Fragen, fragte etwa nach dem Beruf des Vaters, der oft nicht gerne genannt wurde, weil es sich um keinen besonders angesehenen Beruf handelte, vielleicht den eines Gefängniswärters im bargello , eines Trödlers, eines Kloakenreinigers, eines Henkers. Und so blieb manchem am Ende solch eines Disputs nichts anderes übrig als ein verlegenes Lächeln und die Ausrede, daß nun mal nicht jeder in die pila gelegt worden sei. Ein kläglicher Schutzschild, der schnell durchlöchert war, wenn zufällig ein zweiter aus dem Ospedale dazukam oder gar noch mehrere innocenti, so daß nunnicht nur einer allein als ein exotisches Tier gebrandmarkt werden konnte. Dann ließen wir in Sekundenschnelle dieses exotische Tier erscheinen. Wir bliesen ihm unseren Odem ein, der es zum Riesen machte, der mit furchterregenden Schritten und gewaltigen Zähnen auf die Betreffenden losging. Mit vereinten Kräften ließen wir unsere Fragen vom Stapel, und mehr als einmal brachten wir einen dieser Ach-so-Menschen so weit, daß er fluchtartig davonlief und wir nur noch sein Schluchzen von der nächsten Straßenecke her hören konnten.
    Wir aber lachten und tanzten dann im Hof unseres Hauses, unseres Palazzo, den immerhin ein Baumeister gebaut hatte, der auch den Dom entworfen hatte: Filippo Brunelleschi. Hinter diesen Mauern waren wir vor allen Unbilden des Lebens geschützt, wie wir glaubten, aufgehoben in einer Großfamilie, deren Bande stärker waren als alle Demütigungen dieser Welt.
    Kamen unsere Lehrer oder Aufseher bei solch einem Spektakel hinzu, so rieten sie uns selbstverständlich zur Mäßigkeit und Demut und empfahlen uns, in solchen Situationen lieber zu beten. Aber wir beteten ohnehin schon viel, offenbar immer, wie es uns schien.
    Es gibt da ein wunderschönes Bild von den innocenti mit einer ernsten Muttergottes, die ihren weiten Mantel über die Kinder breitet, so daß sechzehn von ihnen darunter Platz finden. Sie stehen da, gestaffelt in drei Gruppen: in der untersten Reihe die Wickelkinder, eingeschnürt von den Füßen bis zum Hals wie Pakete oder kleine Mumien, wollten sie gehen, so müßten sie hüpfen wie in einem Sack; dann kommen die Nächstgrößeren, ihre Hand schützend über die Kleineren gelegt, beide Reihen ganz in Weiß; und direkt unter der Madonna dann die Großen, sie in Schwarz. Den Grund, weshalb man ihnen die Farbe Weiß verweigert hat, kenne ich nicht, sie sind eigentlich nicht so viel älter als die übrigen. Daß sie bereits der Sünde verfallen sein könnten, erfüllte mich immer mit besonderem Mitgefühl. Und alle sind mit gefalteten Händen gemalt, die sie der Madonna entgegenstrecken. Als Kind dachte ich immer, wir müßten den ganzen Tag über mit gefalteten Händen durch das Ospedale laufen, was dann aber zum Glück nicht der Fall war.
    Ein anderes Bild zeigt eine weniger ernste Madonna, zu deren Füßen sich die Kinder halbnackt, völlig ungezwungen spielend und mit aufgelösten Wickelpacken ergehen, als habe die Zeit nicht gereicht, sie neu zu wickeln. Oder als komme diese Madonna von einem anderen Stern, auf dem die Kinder fröhlicher sein dürfen als auf dem ersten Bild, auf dem keines der Kinder lacht. Dieses Bild entspricht freilich dem frate , der nicht viel vom Lachen hielt, und daß er uns in der Karnevalszeit jenen Korb mit Karnevalsbrezeln nicht gönnte, war etwas, bei dem ich Mühe hatte, es zu begreifen.
    Aber trotzdem soll Savonarola nicht vergessen sein, zumindest in meinen ricordanze will ich versuchen, ihn vor dem Vergessen zu schützen. Es soll daran erinnert werden, daß er vier Jahre lang die Geschicke unserer Stadt lenkte, nachdem die Medici verjagt worden waren. Er hat einedemokratische Verfassung aufgebaut und auch dem niederen Volk den Glauben an die Obrigkeit zurückgegeben. In Situationen, die Mut und Entscheidungskraft verlangten, hat er das Richtige getan, so etwa, als er die Tore der Stadt öffnen ließ, um Florenz vor der Plünderung durch die Franzosen zu bewahren. Daß er in manchem über das Ziel hinausschoß, mag stimmen; seine Drohungen, daß die

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