Der Brennende Salamander
Nacht heimlich zu der Stelle, an der sie ihn verbrannt hatten. Ich stellte mich auf den Platz, auf dem es geschehen war, und sprach mit ihm, nein, schrie seiner Seele zu, die ich da irgendwo über mir in den Wolken vermutete, und beklagte, daß er mich allein gelassen hatte. Nicht anders als meine Mutter und mein Vater.
In anderenNächten holte ich mir farbige Seidenreste in meine Kammer, die zum Abfall gehörten, zündete eine Kerze an und studierte die Farben. Ich memorierte die Namen, die wir einst bei Daniele gelernt hatten, aber die Farben für die Seiden waren andere und hatten andere Bezeichnungen: zum Lilafärben verwendete man Lackmus, die Rotfärber benutzten das gemahlene Wurzelmark der Krappflanze, für das sanguigno , das Blutrot, benötigte man Brasilholz aus Kleinasien und das azzurro kam auf einer weiten Strecke über Venedig aus dem fernen Orient.
In die Weinschenken ging ich nie. Einmal hatte ich es versucht, aber ich hatte den Eindruck, daß der Malvasier sauer war und der Trebbiano anders schmeckte als früher, der toskanische Wein aber schien weit über dem Preis zu liegen, den doch die Behörden überwachten. Aber vielleicht hing alles damit zusammen, daß ich allein war und Rocco mir fehlte.
Einmal dann, mitten in der Nacht, ging ich zum Ospedale. Ich hatte nie erlebt, wie ein Kind in die pila gelegt wurde, nicht ein einziges Mal in dieser langen Zeit. Jetzt sah ich es. Und jetzt stellte ich auch fest, daß keinesfalls stimmte, was ich bei meinem Auszug gedacht hatte: Dies alles berührte mich doch sehr. Ich sah die Frau, das Gesicht dicht verhüllt, ich sah, wie sie das Bündel in die Schale legte, schaute zu, wie sie die Treppen wieder so hastig hinunterstieg, wie sie sie hinaufgestiegen war. Dann war sie spurlos in der Nacht verschwunden, als habe es sie nicht gegeben. Und das Ganze dauerte kaum mehr als eine Minute. Für einen Augenblick überlegte ich, ob ich ihr nachrennen, sie bitten sollte, sich alles noch einmal gründlich zu überlegen. Aber ich wußte, daß dies töricht gewesen wäre, und ließ es sein. Ich blieb so lange stehen, bis eine Schwester das wimmernde Bündel aus der pila nahm, ehe es wieder still wurde.
Einmal erwog ich, ob ich den langen Weg nach Lucca auf mich nehmen sollte, aber dann kam ich mir lächerlich vor – es mußte möglich sein, daß ich allein mit mir zurechtkam und mich nicht an Roccos Rockzipfel klammerte wie ein kleiner Junge. Ein anderes Mal hörte ich direkt unter dem Fenster meiner Kammer eine Katze kläglich miauen. Ich stieg die steile Treppe hinunter, holte in der Küche ein Schüsselchen mit Milch und wollte esgerade vor die geöffnete Haustür stellen, aber es erwies sich als eine völlig überflüssige Geste: Die Katze hatte offenbar inzwischen eine Maus gefangen, die sie nun genüßlich verspeiste. Zu allem Überfluß öffnete sich eine Zimmertür, und die Haushälterin schaute mich mißtrauisch an, worauf ich unterschlug, daß ich die Milch für die Katze geholt hatte, und Magenschmerzen vorschützte.
Mein Meister kümmerte sich nach der Arbeit wenig um mich, vermutlich wußte er, daß ich früh schlafen ging, und zumal in den ersten Wochen konnte ich am Abend kaum noch stehen, während meine Arme nahezu lahm waren vom Heben der schweren farbgetränkten Stoffbahnen, die ich über die Gestelle zu werfen hatte. Als ich in der Stadt einmal unsere Köchin traf, die mich herzlich begrüßte und sich nach dem Essen bei meinem Meister erkundigte, schlug sie vor, ich könne gerne auch die Abende bei ihr verbringen. Doch als ich ihr verschwörerisches Lächeln dabei bemerkte, hatte ich den Eindruck, daß ich es lieber seinlassen sollte.
Über den Mangel an Schlafgeräuschen hatte ich nicht mehr zu klagen, als eine alte Tante des Meisters in die Kammer neben der meinen einzog. Sie bekam jeden Abend nach dem Zubettgehen regelmäßig einen Hustenanfall, der über einen längeren Zeitraum andauerte und dann irgendwann in ein klägliches Röcheln überging, so daß ich öfter als einmal befürchtete, sie müsse am Morgen tot sein, was freilich nie eintraf. Auf jeden Fall hatte ich von da ab weniger das Gefühl der Einsamkeit, zumal das Röcheln immer häufiger in ein gewaltiges Schnarchen überging.
In manchen Nächten gestand ich mir ein, daß ich nichts mehr vermißte als den samtenen Schlaf Roccos, der mir immer heilig gewesen war: Ich hatte Rocco nie geweckt, auch wenn ich stundenlang nicht einschlafen konnte und obwohl er mir des öfteren
Weitere Kostenlose Bücher