Der Brennende Salamander
ich das irgendwo mal gehört hatte. Ob damit die Farbe von den Fingern verschwand, war mir unklar.
Viel später, als wir einmal einen wirklich tiefgreifenden Streit hatten, behauptete Rocco, ich sei aus Trotz tintore geworden, weil ich die Rivalität als Maler mit ihm gefürchtet hätte – eine Vermutung, die nicht ganz aus der Luft gegriffen war.
An diesem Abend jedoch schwelgte ich in der Vorstellung, die Welt bunt und prall und fröhlich zu machen mit den Seidenstoffen, die bleich wie Gespenster zu uns in die Hallen kamen. Ich stellte mir vor, wie ich Frauen, die sich zu uns in die bottega bemühten, für diese Farben begeistern würde, wie ich an manchen Abenden, wenn die Stoffbahnen zum Trocknen auf den Gestellen hingen, zwischen diesen hindurchschlendern würde, als sei ich in einem bunten Märchenwald, und wie ich in unbeobachteten Augenblicken mein Gesicht an diese Seide schmiegen würde – natürlich nur, wenn ich meinen Bart bis zur letzten Stoppel rasiert hatte. Aber selbstverständlich waren dies alles Hirngespinste, die nie wahr wurden. Keine Frau wagte sich je in unsere stinkenden Räume mit ihrem beißenden Geruch und riskierte, am Ende gar noch ihre kostbaren Gewänder mit Farbspritzern zu verderben. Ich erinnere mich auch an die letzte Nacht im Ospedale. Zum letztenmal in unserem Schlafsaal, der nur mäßig belegt war, weil ein Teil unserer Altersgruppe bereits ausgezogen war und die neuen Jahrgänge noch nicht hier schliefen.
Mir kamen jene qualvollen Nächte von früher ins Gedächtnis, in denen uns Sebastiano die Geschichten unseres Lebens erzählte. Ich fühlte wieder die Angst, daß die winzigen Geheimnisse, die wir unter unseren Betten verwahrten, in unbefugte Hände fallen könnten. Um meine ricordanze sorgte ich mich am meisten. Ich rückte jeden Abend heimlich das Bett von der Wand und überprüfte die Leiste, die ich gelockert hatte, um meine Blätter dahinter zu verstecken. Meine Vorsicht war so groß, daß ich manchmal sogar mitten in der Nacht, wenn ich ein Geräusch hörte, die Leiste ein weiteres Mal prüfte. Aber mein Geheimnis blieb unentdeckt, sowohl im Ospedale wie auch später im Haus am Arno des Messer Orelli.
An diesem letzten Abend, die Blätter längst in sicherem Gewahrsam, schlich ich noch einmal zu Roccos Schlafplatz hinüber, ohne zu wissen, weshalb. Vermutlich lediglich um mich zu vergewissern, daß es ihn gab, um seinen Atem zu hören, der wie stets regelmäßig war. Rocco schnarchte nie, nicht einmal wenn er erkältet war und eine verstopfte Nase hatte. Ich schnarchte, wie man mir versicherte, auch nie, vermutlich aus lauter Angst, daß man mir im Streit vorwerfen könnte, ich sei ein unbequemer Schlafgenosse. Schon damals lag ich in manchen Nächten mehr wach als schlafend, und die Vollmondnächte waren mir bereits Tage zuvor ein Alptraum. Ich schlich durch den halbleeren Schlafsaal wieder zurück zu meinem Bett, und mir war, als sei die Welt untergegangen und nur mich habe man aus irgendwelchen Gründen vergessen.
Irgendwann frühmorgens schlief ich dann ein. Als der Aufseher mich weckte, teilte er mir mit, daß Rocco bereits weggegangen sei. Ich wußte nicht, sollte ich traurig sein oder zufrieden, den Abschied verpaßt zu haben. Aber da ich vermutlich doch wieder Mühe gehabt hätte, die richtigen Worte zu finden, und mit großer Wahrscheinlichkeit das Falsche gesagt hätte, war ich im Grunde froh, daß mir die Begegnung erspart geblieben war.
Der Abschied von unserer Köchin war der herzlichste. Sie steckte mir ein paar biscotti zu und sagte, daß ich zu jeder Zeit bei ihr in der Küche willkommen sei. Unsere Lehrer entließen mich sachlich, wünschten mir Glück und Segen auf dem weiteren Lebensweg und ermahnten mich vor allem zu Sparsamkeit und Demut vor dem Herrn. Damit machten sie deutlich, zu welcher Partei sie gehörten: Wie so viele hingen sie noch immer Savonarola an.
Als ich die breiten Stufen zur Piazza Santissima Annunziata, von der aus man das Ospedale in seiner vollen Breite sehen konnte, hinabgestiegen war, drehte ich mich noch einmal um. Ich schaute zu den Arkaden empor, unter denen es im Sommer so angenehm kühl war, und mein Blick glitt nach oben zu den Reliefs mit den wie Mumien eingewickelten Kindern, dann auf die linke Seite zu der pila. Am Tag zuvor seien vier Kinder eingeliefert worden, hatte Sebastiano uns beiden gewissenhaft berichtet, auch wenn wir uns jetzt nicht mehr übermäßig für Nachrichten dieser Art interessierten, da
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