Der Brennende Salamander
angeboten hatte, in einem solchen Fall mit mir spazierenzugehen, bis ich müde sei.
Und dann eines Tages alle Einsamkeit aufgehoben in einem Wirbel von Zufällen und Begegnungen: das Fest des San Giovanni, das höchste Fest unserer Stadt zu Ehren ihres Schutzpatrons.
Und als weltlicher Höhepunkt dieses Festes der Palio, das Pferderennen.
Die Vorbereitungen zu dem eigentlichen Fest begannen bereits drei Tage zuvor mit dem Aufruf des Herolds, gemäß dem jeder Junge, der fünfzehn Jahre alt war, im battistero seine Kerze zu überbringen hatte. Die Straßen wurden in Festsäle verwandelt, erhielten ein Dach, das gegen die Sonne schützen sollte. Zwischen dem battistero und Santa Reparata wurde dieser ›Himmel‹ in zwölf Meter Höhe in den Mauern verankert. In der gesamten Stadt waren die bottege festlich geschmückt.
Am Vortag zog dann die Prozession vom Dom zum großen Bittgang mit den Reliquien der einzelnen Kirchen und dem Klerus samt Laienbruderschaften durch die Stadt. Zur Stunde der Vesper wurden die Kerzen entzündet. An der Spitze der verschiedenen Verbände waren die Angesehensten zu sehen, ihnen folgten alt und jung zu Paaren geordnet. Stelzenmänner in bunten Gewändern umrundeten den Zug, Tuba- und Schalmeienbläser zogen über den Ponte vecchio nach San Giovanni.
Für die Färber war das Johannes-Fest stets auch ein gutes Geschäft, da die höchsten Beamten der Stadt statt der Kerzen der Kirche kostbare Seidenstoffe an einer Standarte weihten.
Am eigentlichen Festtag, dem 24. Juni, wurde in der Taufkirche ein besonders feierlicher Gottesdienst gehalten, und am Nachmittag fand dann das von allen mit großer Spannung erwartete Pferderennen statt, der Palio. Ehe das Rennen begann, wurden stets die Siegestrophäen der früheren Jahre durch die Stadt gefahren.
Das Rennen der zwölf Pferde, von fantini , Jockeys, geritten oder dem Besitzer, begann bei der Mugnone-Brücke, ging von da zum Mercato vecchio, dann durch die Via del corso und weiter zur Piazza San Piero Maggiore, wo die Sieger, empfangen von festlicher Tubenmusik, von vornehmen, reichgeschmückten Frauen den heißersehnten Preis, den palio , in Form eines kostbaren Tuches erhielten.
Natürlich waren die begehrtesten Zuschauerplätze am Ziel, wo die Preise verliehen wurden. Aber da mir klar war, daß man diesen Platz kaum ungeschoren erreichte – meist mit zerrissenen Kleidern oder ohne Beutel, der gestohlen worden war –, hatte ich mir überlegt, daß ein guter Platz vielleicht in der Nähe des Arno sein würde, weil es dort nicht ganz so heiß und möglicherweise auch nicht ganz so voll war.
Aber ich hatte mich getäuscht, es gab keinen Platz in der Stadt, der weniger überfüllt gewesen wäre als der andere, und obwohl mir durchaus klargewesen war, daß es außer mir noch andere Leute geben würde, die an diesem Fest teilhaben wollten, so hatte ich doch nicht damit gerechnet, daß sich ganz Florenz und die halbe Toskana hier versammelten.
So schlenderte ich am frühen Nachmittag mehr mißgelaunt als fröhlich ziellos durch die Gassen, ging von einer bottega zur anderen und traf irgendwann Matteo, der mir sagte, Rocco und Daniele seien in der Stadt, und man wolle sich später in einer Taverne unweit des Doms treffen. Zur Vesperstunde.
Wir hatten uns schon einmal im Ospedale über den Zufall unterhalten, Matteo, Sebastiano, Rocco, Leonello und ich, und wir hatten uns nicht einigen können, was das eigentlich sei. Daß sich an diesem Ort und zu dieser Stunde irgendwelche Fäden überschnitten, mitten im dicksten Gewimmel von schwitzenden Pferdeleibern und Männern, die dieses Rennen ohne Sattel ritten, war in meinen Augen ganz gewiß einer: Der größte Zufall aber war, daß ich hier Brigida wiederfand, Brigida, die ich zum letztenmal gesehen hatte, als sie jenes wilde Pferd vom Neptunsbrunnen heiraten wollte. Mich hatte sie damals nicht wahrgenommen, und wenn ich es darauf angelegt hätte, daß sie von mir Notiz nahm, so hätte sie sich ganz gewiß nicht mehr an den tränenreichen Abschied bei unserer Amme erinnern können – dazwischen lagen Äonen. Den Tag, an dem ich ihr den geraubten Spiegel zurückgab, hatte ich verdrängt, und die Begegnung bei Savonarolas Umzug, als ich ihr das Kreuz abgenommen hatte, nachdem ihre Hände und ihr weißes Gewand mit der roten Farbe verschmiert waren, die wie Blut aussah, diese Begegnung war gewiß auch nicht in ihrer Erinnerung haftengeblieben. Und bei alldem hatte ich nie die Gelegenheit
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