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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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das einzige, was hilft.
    Hört auf! sagte Rocco schroff. Hier hilft kein Beten mehr. Wer das glaubt, ist ein Narr, fügte er hinzu, worauf Daniele ehrfurchtsvoll die Schneide seines schartigen Dolches überprüfte und sich dabei den Daumen blutig einritzte.
    Als wir uns Prato näherten – unsere Pferde stellten wir in einer abgelegenen Scheune an einem kleinen See unter –, mußten wir feststellen, daß nichts, was wir uns je unter einer Belagerung und Plünderung hatten vorstellen können, an die Grausamkeit heranreichte, der wir hier gegenüberstanden. Ich habe nie die Pest erlebt, flüsterte Daniele, aber ich glaube, dies hier ist schlimmer. Und die Vorstellung, daß wir in diesem Gedränge von flüchtenden Menschen, Soldaten, schreienden Frauen und weinenden Kindern eine Bäckerei finden sollten, die wir nie zuvor gesehen hatten, war geradezu grotesk. Brigida konnte, genaugenommen, überall sein.
    Die Stadttore waren geöffnet, und schon umgab uns ein Gewirr von Szenen: eine Gruppe von Kriegsgefangenen, die an einem Seil in die Stadt hineingezerrt wurden, eine Hühnerverkäuferin, die an einer Stange über der Schulter hängende Wachteln, Wildenten und Hühner zu verkaufen hoffte – ein Pfau, den sie auf einem Karren hinter sich herzog, wurde sofort von den Soldaten mit ihren Messern in Stücke zerteilt und davongetragen –, sowie ein Tuchhändler, dessen Warenballen, vermutlich Pratenser Tuch, die Soldaten von einem Muli zerrten. Es gelang uns trotz dieses kaum überschaubaren Gewimmels, in einer Seitengasse hinter einer umgestürzten Kutsche Schutz zu finden. Aus der Öffnung der herausgerissenen Tür der Kutsche baumelten die spitzenbestrumpften Beine von zwei Frauen, als gehörten sie nicht zu den im Inneren liegenden halb entblößten Leibern.
    Sie sind tot, flüsterte Daniele zögernd, oder?
    Rocco nahm ihn beim Kragen und schüttelte ihn. Wenn ich dich um eines bitten darf, dann solltest du vielleicht versuchen, nicht bei jedem Toten zu fragen, ob er tot ist. Verstehst du? fragte er dann mit unterdrückter Stimme. Falls hier noch jemand lebt, wird er es dir ganz gewiß sagen und bestimmt, bevor sie ihn in die Hölle schicken.
    Daniele nickte, mehr eingeschüchtert als überzeugt. Ich habe noch nie Tote gesehen, sagte er dann hilflos. Ich meine, so viele auf einem Fleck.
    Bildest du dir etwa ein, daß solche Szenen zu meinen täglichen Erfahrungen gehören? fragte Rocco grimmig und schob Daniele wie ein kleines Kind hinter einen Karren mit Mehlsäcken, von denen die meisten geplatzt waren.
    Ich weiß nicht, wie lange wir hinter dem Karren ausharrten, aber irgendwann überstieg es unsere Kräfte, hier weiter zuschauen zu müssen: Nonnen, die schreiend und mit wehenden Kutten durch die Straßen rannten, bis man sie auf den Boden warf und die Soldaten sie unter wildem Lachen vergewaltigten, oft mehrmals hintereinander; Frauen, die ihre Töchter in den Brunnen warfen und ihnen hinterhersprangen; Männer, die mit aufgeschnittenen Kehlen zuhauf auf der Straße lagen; andere liefen mit einem Bündel von irgendwelchen Bannern durch die Straßen; einer setzte in Siegespose den Fuß auf eine Leiche, unter der ein Netz mit Spielkarten hervorquoll. Als zwei lange Wagen über das Pflaster ratterten, erkannten wir an den Uniformen der Toten die Leichen des von Machiavelli zusammengezogenen Landsturms – diesem Inferno war wohl kaum jemand entkommen.
    Wir hatten uns inzwischen in die geplatzten Mehlsäcke hineingewühlt, in der Hoffnung, so getarnt wenigstens bis zur Dämmerung unerkannt zu bleiben.
    Ich möchte wissen, ob sie das gewußt hat, diese Mona Orelli, stieß Rocco irgendwann zwischen halbgeöffneten Zähnen hervor.
    Daniele und ich hockten zusammengekauert wie Gipsstatuen und spähten noch immer zwischen den Radspeichen auf den großen Platz hinaus, auf dem das laute Brüllen inzwischen leiser wurde. Feuer flammten auf, Weinfässer rollten auf den Platz, ein quietschendes Schwein wurde eingefangen und geschlachtet: Das Festmahl wurde vorbereitet, der große Rausch kündigte sich an. In der Ferne sahen wir das Schloß aufglühen, aber es war offensichtlich nur eine Rakete, die man abgebrannt hatte.
    Auf der Suche nach einem vertrauten Menschen, der uns weiterhelfen könnte, erkannte ich plötzlich einen der Färbergehilfen, mit dem ich früher zusammengearbeitet hatte. Er kroch auf dem Boden im Schatten der Kutsche, erschrak, als er sah, daß sich die Mehlsäcke plötzlich zu bewegen begannen, und

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