Der Brennende Salamander
bevor er verschwinden konnte, flüsterte ich ihm zu: Wo, um Himmels willen, ist die pasticceria von Antonio Noldani?
Der Mann hielt inne, vermutlich ohne mich zu erkennen, dann kam er näher gekrochen. Diese Straße geradeaus, sagte er, dann rechts um die Ecke. Ob ihr noch jemanden lebend antrefft, weiß ich nicht. Bei mir zu Hause sind alle tot. Ich versuche, nach Süden durchzukommen, falls mir das noch gelingt. Ihr tätet gut, das gleiche zu tun.
Wir blieben in unserem Versteck, bis es dunkel wurde und ohne daß das Wüten ein Ende nahm. Immer wieder zogen Gruppen von Soldaten mit ihrer Beute vorbei: Kleider, Seidenballen, Halsketten, Perücken; einer trug eine Kette aus Würsten um den Körper gewickelt, ein anderer hatte eine Trompete erbeutet, der er nun die schrillsten Töne entlockte.
Und noch immer ging das Morden weiter: Die Leichen lagen übereinandergetürmt auf den Straßen, das Blut floß, als habe ein Metzger soeben seinen Schlachttag hinter sich gebracht. Irgendwann schossen mir meine Seidenraupen durch den Kopf und wie sie in kochendes Wasser geworfen wurden. Aber diese Tötungsart schien mir plötzlich weniger schlimm als das, was hier vor unseren Augen geschah: Morden um des Mordens willen.
Irgendwann müssen auch Soldaten schlafen, sagte Rocco leise, irgendwann wird jeder Mensch müde.
Daniele, das Gesicht noch immer mehlüberstäubt, hatte seinen Rosenkranz in der Hand und betete mit geschlossenen Augen vor sich hin, so daß es den Anschein hatte, als nehme er nicht wahr, wo er sich in diesem Augenblick befand.
Der Lärm hatte sich inzwischen auf die Piazza konzentriert, auf der nun das große Schmausen begann. Spielleute spielten zum Tanz auf, und in Ermangelung von Frauen, von denen wohl die meisten tot oder geflüchtet waren, tanzten Männer mit Männern.
Bäckereien sind meist im Zentrum der Stadt, mutmaßte Daniele. Ich meine nur, wenn die unsere nicht dort ist, wo der Mann gesagt hat.
Hör auf! sagte Rocco mit unterdrückter Stimme. Es gibt eine Menge von Bäckereien, die nicht im Zentrum der Stadt sind, und außerdem haben wir dort, wo sie sein soll, noch nicht geschaut.
Daniele schaute ihn grimmig an und verzichtete für die nächste Zeit darauf, irgendeine Meinung zu äußern.
Und dann endlich gab Rocco das Zeichen zum Aufbruch. Er hatte in der Zwischenzeit Augenschlitze in leere Säcke geschnitten und vorgeschlagen, wir könnten unsnotfalls einfach zu Boden fallen lassen, um wie Säcke zu wirken – ein Vorschlag, zu dem ich mich nicht äußerte: Ich fand ihn mehr als töricht.
Wir schlichen also jene Straße entlang, die uns der Färber genannt hatte, bogen nach rechts ab und standen dann in einer schmalen Seitengasse vor einem Steintisch. Das Haus dahinter war bereits zur Hälfte eingeäschert. Auf dem Tisch brannte eine Öllampe, daneben stand eine geöffnete Schmuckkassette, die wohl soeben ausgeplündert worden war.
Ein riesiger Backtrog mit Teig war vor der Tür halb auf den Boden gekippt, Soldaten hatten ihre Notdurft in den Trog verrichtet. In einem Kübel waren Mandeln in eine Masse verrührt, ein Eimer mit Honig war auf einem zerschnittenen Federkissen ausgelaufen. Als Daniele darin ausrutschte, sah er aus, als sei er gemehlt und gefedert und brauche nur noch geteert zu werden. Neben dem Backtrog lagen zwei Frauenleichen halb übereinander.
Eine Weile standen wir stumm am Eingang dieser pasticceria , starrten auf das Bild, das wir wohl nie wieder vergessen würden. Ich spürte, wie mein Magen rebellierte. An der Treppe im Inneren der bottega sah ich ein Mädchen mit angewinkelten Beinen liegen. Erst als ich die Öllampe höher hielt, stellte ich erleichtert fest, daß das Mädchen mindestens zehn Jahre jünger sein mußte als Brigida. Die Piazza um die Ecke war noch immer hell beleuchtet, das Licht drang in unsere Gasse, die an zwei Punkten von Fackeln erhellt war.
Ich rieche eine Kerze, sagte Daniele plötzlich, der sich inzwischen notdürftig gesäubert hatte.
Rocco schnupperte, schüttelte den Kopf. In diesem Haus gibt es wohl kaum mehr Kerzen, sagte er dann.
Ich rieche aber eine, beharrte Daniele.
Du riechst Gespenster, sagte Rocco und stieg die Treppe hinauf.
Mein Großvater war Wachszieher, widersprach Daniele hartnäckig und daher verstehe er etwas von Kerzen. Aber diese hier rieche nicht nach einer Wachskerze, sondern nach einer billigen Talgkerze, die stinke. Die Handwerker, die Talglichter gezogen haben, fuhr er fort, sind in der Via Sevaiuolo
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