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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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wegen der Schokolade war, die sie sich gekauft hat. Er hat sich noch einen Espresso bestellt, und wie dann die Helena immer noch nicht dahergekommen ist, ist er hinausgegangen. Vielleicht ist sie wieder eingestiegen, vielleicht hat sie nur einen kleinen Ausflug gemacht, und jetzt sitzt sie wieder in ihrem Kindersitz. Oder andere Möglichkeit. Vielleicht hat der Herr Simon vorher nur eine Sinnestäuschung gehabt, womöglich von den Tabletten? Weil er hat gestern ein alkoholfreies Bier getrunken, und im alkoholfreien Bier ist ja auch ein kleines bisschen Alkohol, und es heißt, wenn man sechsunddreißig trinkt, Vollrausch. Er hat zwar nur eines getrunken, aber eben, Hoffnung ist Hoffnung. Oder noch einmal ganz andere Möglichkeit: Die Entführer haben es sich anders überlegt. Sie haben das Kind zurückgegeben, sie tun, als wäre nichts gewesen. Oder der Abtreibungsgegner Knoll wollte nur eine kleine Drohung machen, kurz das Kind mitnehmen, wie er es der Frau Doktor schon einmal angedroht hat, und gleich wieder zurückgeben, quasi Rute ins Fenster.
    Der Herr Simon hat seine Schritte wieder genauso gemacht wie vorher, vielleicht aus einem gewissen Aberglauben, dass man durch die Wiederholung das vorherige Erlebnis ungeschehen macht. Aber bei Aberglauben ist der liebe Gott gnadenlos, der hasst das wie ein Konzernchef die Gewerkschaft. Und wieder durch die Heckscheibe keine Helena, wieder durch die Seitenscheibe keine Helena, wieder auf Knopfdruck mit der Fernbedienung keine Helena, wieder vom Fahrersitz aus im Rückspiegel keine Helena. In dem Moment, wo er in den Rückspiegel geschaut hat, ist das Handy wieder losgegangen. Da hat der Herr Simon so einen Zorn gekriegt, dass er mit der Faust auf das Lenkrad geschlagen hat. Weil er hat sich eingebildet, der Klingelton hat die Helena verscheucht, ohne Jimi Hendrix wäre sie vielleicht im Rückspiegel gesessen.
And so castles made of sand fall into the sea,
hat der Jimi wie zum Hohn gesungen,
eventually.
     
    Durch den Faustschlag und den dritten Espresso hat sein Herz wieder einen wahnsinnigen Radau gemacht. Aber er hat sich gezwungen, das Auto abzusuchen. Du wirst sagen, wo soll sie denn sein, die Helena, die wird sich nicht unter der Kühlerhaube versteckt haben. Aber da siehst du schon, dass der Schock ihn langsam richtig verrückt gemacht hat. Die Panik hat ihn verrückt gemacht, und was die Panik übrig gelassen hat, haben die Tabletten verrückt gemacht. Weil er hat sich jetzt an den Gedanken geklammert, dass sich Kinder gern verstecken. Das ist ja etwas Lustiges für Kinder, ja was glaubst du. Und obwohl das kleine Mädchen vom Kindersitz aus überhaupt nicht in der Lage gewesen wäre, sich irgendwo zu verstecken, hat er das ganze Auto abgesucht. Vielleicht liegt sie bequem hinter seiner Rückenlehne und wartet darauf, dass der dumme Fahrer sie endlieh findet. Aber keine Helena hinter den Sitzen, keine Helena unter den Sitzen, keine Helena im Handschuhfach, keine Helena unter den Fußmatten, nicht einmal eine Helena im Kofferraum.
    Kurz hat der Herr Simon geglaubt, dass er zu weinen anfangt. Aber es ist nicht von innen gekommen, nicht aus der inneren Verzweiflung, sondern mehr so vom Gesicht her, von außen. Und er hat dann auch nicht geweint, sondern ob du es glaubst oder nicht: Er hat fünfmal hintereinander niesen müssen. Beim fünften Mal ist er schon wieder durch die automatische Tür in den Tankstellenshop gegangen und hat sich noch einen Espresso bestellt. Und dann hat er endlich beim Kressdorf angerufen. Bei der Frau Doktor unmöglich, da wäre er lieber gestorben, weil sag einmal einer Mutter, ich hab dein Kind verloren. In so einem Fall fürchtest du dich vor dem mächtigsten Baulöwen weniger als vor einer Mutter.
    Zuerst hat er noch eine Zeitlang die gespeicherte Nummer vom Kressdorf angestarrt und nicht gewusst, soll ich oder soll ich nicht. Aber dann hat er endlich gewählt. Und gleich wieder aufgelegt, bevor es beim Kressdorf überhaupt geklingelt hat. Und dann hat er endlich gewählt und auch wirklich auf die Verbindung gewartet.
     

4
     
    Der Kressdorf hat immer lachen müssen, wenn die Leute ihn als Baulöwen bezeichnet haben. Sogar seine Frau hat manchmal zu ihm gesagt: »Gut, dass ich damals nicht gewusst habe, dass du so ein Baulöwe bist.« Sonst hätte er bei ihr keine Chance gehabt, weil sie hat am Anfang geglaubt, mehr in die Richtung Architekt.
     
    Das hat den Kressdorf amüsiert, und er hat sich umgekehrt gedacht, gut, dass sie damals

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