Der Brenner und der liebe Gott
gesagt habe, das man nicht sagen soll. Aber ich hab es anders gesagt. Ich hab überhaupt nicht von mir gesprochen. Ich hab sie gefragt, ob sie sich nicht fürchtet, dass der liebe Gott, dem sie so viele Kinder wegnimmt, ihr auch einmal ihr Kind wegnimmt.«
»Das ist das Gleiche«, hat der Brenner behauptet.
Im selben Moment sind mehrere der Bildschirme von Snooker auf ein Hunderennen umgehüpft.
»Der liebe Gott!«, hat der Knoll noch einmal gesagt. »Nicht ich. Erstens bin ich kein Entführer, und zweitens bin ich nicht blöd.«
»Und der liebe Gott ist blöd, oder wie?«
In einer großartigen Zeitlupeneinstellung hat man gesehen, wie die muskulösen Hundekörper sich verformt haben vor lauter Fliehkraft. Ihre Lefzen sind regelrecht verweht worden und fast nicht mit den Köpfen mitgekommen, ihr Speichel ist mit dem Sand um die Wette geflogen, und der Brenner hat sich gewünscht, dass die Zeit stehen bleibt in diesem schönen Zwielicht aus Regentag und Flachbildschirmen, weil er hat das Gefühl gehabt, dass es jetzt kein Halten mehr gibt und dass schon alles entschieden ist, lange bevor der erste Hund im Ziel ist.
»Hören Sie zu, mir nützt die Entführung ganz bestimmt nichts.«
»Außer die Entführer melden sich nie, und die Frau Doktor sperrt die Klinik zu, weil das ihre letzte Hoffnung ist, dass dann ihr Kind wieder auftaucht.«
Äußerlich hat der Brenner so sachlich geredet. Mit den Augen hat er sich an die Bildschirme geklammert, und mit den Worten hat er sich an seinen Verstand geklammert. Aber innerlich war der Wurm drinnen, das hat er sofort gemerkt. Weil in ihm hat der Verdacht zu nagen angefangen, den der Knoll ausgesprochen hat.
»So weit sind wir aber noch nicht«, hat der Knoll gesagt. »Es schaut viel eher so aus, dass wir es sind, die unter dem öffentlichen Druck bald zusperren und das Land verlassen müssen.«
Der Brenner hat genickt, um so zu tun, als würde er dem Knoll zuhören. Seinen Argumenten. Aber er hat nur dem Wurm zugehört, der in ihm genagt hat.
»Bis jetzt nützt die Entführung nur der Klinik«, hat der Knoll weitergequasselt. »Polizeischutz rund um die Uhr. Öffentliche Meinung absolut gegen uns.«
Aber während die rasenden Hunde in der Zielkurve zusammengekracht sind und sich in Zeitlupe so oft überschlagen haben, als wäre das der Wettbewerb, hat der Brenner nur noch daran denken können, was der Knoll vorher gesagt hat. Über den lieben Gott. Der könnte die Helena persönlich mitgenommen haben. Und es hat ihn eine wahnsinnige Angst erfasst, dass er womöglich einen allmächtigen Gauner zum Gegner hat.
»Dabei wollen sie nur meine Mietkündigung hinausschieben. Bis ihre neue Superpraxis im
Riesenland
fertig ist«, hat der Knoll gesagt.
»Wieso im
Riesenland?«
Wie ein im Stehen balancierender Radfahrer, der sich im letzten Moment mit einem Pedaltritt vor dem Umfallen rettet, hat der Brenner sich jetzt wieder in das Gespräch hineingerettet. »Das wird doch so ein Freizeitpark. Golfplatz, Schwimmbad, Geschäfte, Kino und so Sachen.«
»Ist Ihnen noch nie aufgefallen, dass sich heutzutage die Gesundheitszentren in solchen Frequenzlagen einmieten? Die Zahnklinik am Bahnhof, der Schönheitschirurg in der Shopping-Mall.«
»Zahnklinik ist mir einmal aufgefallen, stimmt.«
»Und die Abtreibung zwischen Shopping und Bowling im
Riesenland,
das passt alles ganz flott zusammen.
Baby take away
im Designerambiente. Mit 10-Prozent -Gutschein fürs nächste Mal.«
Der Brenner war fast erleichtert, dass dem Knoll jetzt doch noch der Eifer aus den Augen geblitzt ist. Auf einmal hat er sich wieder ausgekannt mit dem
Proleben-Chef.
Aber unglaublich, wie leicht dich so ein Fanatiker aus dem Konzept bringen kann, wenn du geschwächt und mit einer riesigen Schuld herumläufst.
»Baby take away.
Sie sind ganz schön zynisch.«
»Ich bin nicht zynisch. Die Leute, die so was machen, sind zynisch. Das Riesen-Abtreibungsland, finanziert mit Millionen Kindermorden.«
»Jetzt hören Sie aber auf.« Dem Brenner ist wirklich langsam schlecht geworden.
»Man muss so etwas schon professionell vermarkten, damit es sich rechnet. Das Riesen-Abtreibungsland«, hat der Knoll wieder mit seinem amüsierten Gesicht gesagt. »Vielleicht sollte ich mit denen ins Geschäft kommen und ihnen den Namen verkaufen.« Jetzt ist die Eitelkeit mit ihm so durchgegangen, dass der Brenner gehofft hat, er wird gleich einen entscheidenden Fehler machen. »In der neuen
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