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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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ist. Er hat sie gleich erkannt an ihren Locken, die so feuerrot waren, dass sie von Rechts wegen auf einer Tankstelle nichts zu suchen gehabt haben. Sie hat sich eine Zeitung und einen Liter Milch genommen und an der Kassa noch eine Schachtel Marlboro Light verlangt. Aber interessant. Sie hat »Marlboro« nicht auf dem »a« betont, sondern in der Mitte, sprich: »Marlbooro«. Der Brenner hat versucht, einen Blickkontakt mit der Zeugin herzustellen, aber das Zahlen und das Wechselgeldeinstecken und das Umdrehen und das Hinausstapfen waren bei ihr eine einzige rasante Bewegung, als wäre sie immer noch am Video auf Schnellvorlauf unterwegs, und schon war sie am Brenner vorbei, ohne dass sie ihn auch nur bemerkt hat.
    »Südtirol«, hat der Brenner gerufen, wie sie schon näher beim Ausgang als bei der Kassa war. Oder eigentlich war es mehr ein Murmeln, nein, für ein Murmeln zu laut, aber für ein Rufen zu leise, mehr in so einer mittleren Stänkerlautstärke. Er hat schon die ganze Zeit, seit sie eine Schachtel Marlbooro verlangt hat, überlegt, wie er seine Vermutung, dass sie eine Südtirolerin ist, für einen guten Spruch nützen kann. Aber leider ist der neue Tankwart wahnsinnig flink gewesen, der hat das Wechselgeld so schnell herausgezählt, und sie hat es so schnell eingesteckt, dass dem Brenner nicht genug Zeit für die Spruchentwicklung geblieben ist.
    Wie die Frau mit der Milch und der Zeitung in der einen und der Schachtel Marlbooro in der anderen Hand schon an den Säufertischen vorbei war, hat der Brenner einen Moralischen gekriegt. Mein Gott, hat er innerlich geflucht, früher wäre mir in einer Zehntelsekunde ein Spruch eingefallen, da hätte ich überhaupt nicht nachdenken müssen. Und jetzt hab ich diesen Trumpf in der Hand, dass ich an ihrer Zigaretten-Aussprache ihre Heimat erkenne, aber glaubst du, mir fällt was ein?
    Aus Erfahrung hat er gewusst, man muss sich in so einer Situation einfach möglichst weit aus dem Fenster lehnen, sich in eine Gefahrensituation bringen, dann schwimmt auf dem Adrenalin schon ein guter Spruch daher. Und darum hat er einfach einmal, während die Frau schon am Chipsregal vorbei Richtung Zeitungsregal und am Zeitungsregal vorbei Richtung Zubehörregal und am Zubehörregal vorbei Richtung Tür geflogen ist, auf so eine Art, als würde er nur murmeln, aber doch eindeutig und unüberhörbar zu ihr »Südtirol!« hinübergerufen.
    Und der Spruch wird schon hinterherkommen. Das war die Kalkulation, mit dem Essen kommt der Appetit, mit dem Reden kommen die Leute zusammen, und mit dem Stänkern wird der charmante Spruch schon hinterherkommen. Sprich Fehlkalkulation. Weil leider kein Spruch weit und breit. Der Einwortspruch ist durch den Tankstellenshop gehallt, dass dem Brenner ganz übel geworden ist. Südtirol! Etwas Peinlicheres ist ihm schon lange nicht mehr passiert. Früher hätte er mindestens im Vorbeigehen zu ihr gesagt: »Glaubt man in Südtirol an Liebe auf den ersten Blick, oder willst du noch ein zweites Mal vorbeigehen?« Oder tausend Möglichkeiten. Aber jetzt, entweder ist es von den Tabletten gekommen oder vom alkoholfreien Bier oder schlicht und einfach vom Alter, oder das Hirn eingerostet oder die Hormone vertrocknet, jedenfalls kein Spruch.
    Jetzt weiß ich nicht, ob du weißt, dass die Südtirolerinnen die schönsten Frauen der Welt sind. Also Australien war ich noch nie, aber sonst kann ich es persönlich bezeugen, weltweit kommt da zuerst einmal die Südtirolerin und dann lange nichts, weil da dürfte es sich erblich gerade so günstig treffen, halb Italienerin, halb Geierwally. Nur damit du verstehst, unter was für einem Druck der Brenner gestanden ist.
    »Das ischt lang her«, hat der Rücken der Südtirolerin gesagt. Aber von Umdrehen keine Rede. Ohne auch nur den Schritt zu verlangsamen, ist sie weiter Richtung Ausgang gestampft, weil das war die italienische Hälfte, die hilft beim Arrogant-Stampfen.
    »Könnten Sie mir bitte eine Marlbooro schenken?«, hat der Brenner noch schnell gerufen, wie die automatische Tür sich schon vor ihr geöffnet hat.
    Und ob du es glaubst oder nicht. Sie hat sich umgedreht und ist zum Brenner zurück. »Du hascht aber gute Ohren«, hat sie gesagt, das Päckchen aufgerissen und ihm eine hingehalten.
     
    »Wegen der Marlbooro«, hat der Brenner stolz erklärt, aber gleichzeitig eine abwehrende Handbewegung in Richtung Zigarettenpackung gemacht. »Seit ich nichts mehr trinke, rauche ich auch nicht mehr.« Und er hat

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