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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Brenner das tropfnasse Gesicht des Abtreibungsfanatikers Knoll behauptet hat, dringend mit ihm reden zu müssen.
     
    Der Brenner hat ihm aber gar nicht richtig zugehört, weil ihm ist in dem Moment, wo der Knoll seinen Namen gesagt hat, eingefallen, dass ihm eine der Knoll-Aktivistinnen vor ein paar Wochen diese Broschüre in die Hand gedrückt hat, in der er die Überschrift »Zone der Durchsichtigkeit« gelesen hat.
     
    Pass auf, so heißt die gläserne Haut der Eizelle, in der sich der Samen festsetzt, quasi Wissenschaft. Und ob du es glaubst oder nicht, bis zur ersten Zellteilung vergehen genau dreißig Stunden. Wahrend die vom Verkehrslärm und vom Entlüftungsgerät fast übertönte Stimme des glatzköpfigen Mannes immer ungeduldiger geworden ist, hat der Brenner sich nicht gegen den Gedanken wehren können, dass jetzt, genau dreißig Stunden nach dem Verschwinden der Helena, die Kettenreaktion beginnt. Genau wie der automatische Ablauf, der in der Broschüre so schön dargestellt war, wie sich Tag für Tag die Zelle teilt und wieder teilt und wieder teilt, ohne Einfluss des menschlichen Willens. Er war auf einmal sicher, oder ist es ihm auch nur im Nachhinein so vorgekommen, mit dem ganzen Wissen, das man im Nachhinein hat, dass mit dem Auftauchen des Abtreibungsgegners Knoll genau dreißig Stunden nach dem Verschwinden des Kindes die Katastrophe nur noch automatisch wie die reinste Zellteilung abschnurren wird, aber eben nicht in Richtung Leben, sondern umgekehrte Richtung.
    »Sie sind der Knoll?«
    Aber interessant. Jetzt ist dem Brenner erst aufgefallen, dass der Wettcafe- Eingang auch mit einer Kamera überwacht war. An und für sich kann man verstehen, dass die das überwachen, weil so ein Wettcafe zieht gewisse Leute an. Der Brenner war jetzt aber schon so genervt von den Überwachungskameras, dass er diese billige Attrappe sofort dem Knoll in die Schuhe geschoben hat, obwohl gar nicht
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oben gestanden ist wie auf den Klinik-Kameras. Also innerlich in die Schuhe geschoben, weil gesagt hat er ganz ruhig: »Ich habe immer gehört, der Knoll zeigt sich nie, der zieht nur die Fäden im Hintergrund.«
     
    Und nur um der Kamera zu entgehen, ist der Brenner in das Wettcafe hinein und hat sich an den erstbesten Tisch gesetzt. Er hat sich einen Espresso bestellt, der Knoll einen heißen Tee, weil der hat Angst gehabt, dass er sich verkühlt in seinem nassen Gewand. Und wie die Getränke gekommen sind, hat er gesagt: »Ich bin mir sicher, dass Sie viel über mich gehört haben. Aber Sie wissen ja, dass die Dinge, die man über Menschen erzählt, meistens nicht stimmen. Über Sie werden auch Sachen erzählt, von denen ich hoffe, dass sie nicht stimmen.«
     
    Die Überheblichkeit, mit der er das gesagt hat, ist dem Brenner wahnsinnig gegen den Strich gegangen. Aber ohne dass er es wollte, hat es ihm gefallen, wie der Knoll sich einfach mit dem Serviettenblättchen, das zwischen seiner Teetasse und der Untertasse gelegen ist, die Glatze abgetrocknet hat.
     
    »Jetzt weiß ich endlich, wozu diese Fetzerl gut sind«, hat der Knoll gelächelt. »Sonst kleben sie immer so blöd an der Tasse, dass man sich fragt, was die eigentlich sollen. Wenn man nicht ausschüttet, braucht man sie nicht, und wenn man ausschüttet, wird die Sauerei dadurch noch größer.«
    »Was wollen Sie von mir?«
    Der Knoll hat die Serviette zusammengeknüllt, aber nicht in den Aschenbecher gelegt, sondern so unauffällig wie möglich in seine Manteltasche gesteckt, wie jemand, der keinen Müll zurücklassen möchte.
    »Ich möchte, dass das Kressdorf-Kind so schnell wie möglich zurückkommt.«
    »Dass Sie mit mir reden, macht Sie bei der Polizei nur noch verdächtiger«, hat der Brenner gesagt. »Außerdem bin ich gerade hinausgeschmissen worden.«
    »Das schaut der lieben Frau Doktor ähnlich. Gefeuert!
     
    Natürlich ohne dass sie das Arbeitsrecht auch nur angeblinzelt hat.«
    »Naja. Grobe Fahrlässigkeit kann man bei mir schon sagen.«
    »Irgendwas finden sie immer!«
    Der Knoll hat dabei so ein undefinierbares Lächeln auf den Lippen gehabt, dass der Brenner nicht sicher war, wie ernst er es meint. Dieses ironische Lächeln hat genauso wenig zu seinem Abtreibungsfanatismus gepasst wie das durchstochene Ohrläppchen zu seinem biederen Äußeren.
    »Mich würden sie am liebsten aus meinem eigenen Haus hinausschmeißen. Und jeder zufällige Stromausfall wird mir als Terroranschlag ausgelegt und kommt sofort in die Zeitung. Dabei

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