Der Brenner und der liebe Gott
Argument, dann hat sie aber doch gesagt: »Ach ja, das haben sie eh im Fernsehen gesagt. Du hättest besser auf das Kind aufpassen müssen.«
»Und Sie haben nichts gesehen? Irgendwen mit einem Kind davongehen?«
»Du bischt wirklich der Erste, der mir diese Frage stellt.« »Ist schon gut«, hat der Brenner kleinlaut gesagt.
Aber genau das dürfte wieder der Südtirolerin gefallen haben, weil ausgerechnet jetzt, wo der Brenner aufgegeben hat, sagt sie: »Du bischt der Einzige von den ganzen Trotteln, dem ich gern helfen würde. Du bischt mir nämlich sympathisch. Mit deinen komischen Augen. Und das Hemd hängt dir heraus.«
Der Brenner hat sich das Hemd hineingestopft, und die beiden Säufer haben blöd gegrinst. Die haben schon Stielaugen gehabt, und ihre Ohren waren so lang, dass sie an der Motoröl-Werbung gestreift sind, die vom Plafond heruntergehängt ist.
»Aber ich bin eher so ein Mensch, der in sich hineinschaut«, hat die Frau gesagt. »Ich muss sogar Tabletten nehmen gegen Depressionen.«
»Und nützen sie was?«
»Ja klar. Glaubst du, sonst wäre ich fähig, über die Straße zu gehen? Aber weißt du, was ich eine Frechheit finde? Ich hätte mir nicht gedacht, dass man hier als normaler Einkäufer überwacht wird. Ich sag ja nichts, wenn sie die Autofahrer überwachen. Falls einer ohne zahlen abhaut, hascht du seine Autonummer. Das versteh ich ja noch. Aber einen normalen Einkäufer, der sich nur eine Milch kauft, braucht man nicht überwachen.«
»Das ergibt sich automatisch«, hat der Brenner gesagt. »Wenn sie die Autofahrer überwachen und man rennt als Einkäufer ins Bild, ist man eben automatisch drauf.«
»Ach, jetzt wäre ich auch noch schuld dran«, hat die Südtirolerin protestiert. Und dann hat sie gelächelt, weil der Brenner so verzweifelt geschaut hat. »Denk dir nichts, die Kleine wird schon wieder auftauchen. Ich spür es. Da kannst du mir vollkommen vertrauen, ich spür solche Sachen. Dem Mädchen geht's gut. Außerdem hat der Baumeister genug Kohle. Das ischt bestimmt nicht wahr, dass die Entführer sich noch nicht gemeldet haben.«
»Einerseits spüren Sie es, andererseits argumentieren Sie so logisch.«
»Und du? Trinkst nur alkoholfreies Bier?« Dann ist sie gegangen.
Das war eine! Sagt einfach irgendwas und geht. Wie sich die automatische Tür vor ihr geöffnet hat, ist dem Brenner etwas Neues eingefallen.
»Südtirolerin!«, hat er gerufen. Also dieses Mal schon mit persönlicher Note. Gewirkt hat es aber trotzdem nicht. Sie hat sich nicht umgedreht, und wie er ihr seine Handynummer nachgerufen hat, war sie schon bei der Tür draußen, bevor er bei der letzten Ziffer angekommen ist. Er hat durch die Scheibe gesehen, wie sie links um die Zapfsäule herumgegangen ist, gute Figur und alles, der Brenner hat sich gedacht, so eine, wenn ich zu meiner Zeit kennengelernt hätte, und er hat ihr weiter nachgeschaut, wie sie mit der Zeitung und der Milch in der linken und der Schachtel Marlbooro in der rechten Hand die Straße überquert hat und im Haus gegenüber verschwunden ist.
10
Das Handy haben sie ihm auf der Tankstelle nicht aufgesperrt, und von der Südtirolerin hat er auch nichts erfahren. Aber pass auf, was ich dir sage, im Leben ist nie etwas umsonst, du findest nur meistens etwas anderes, als du gesucht hast. Und der Brenner hat jetzt mitgekriegt, wie jemand auf der Tankstelle einen Mietwagen zurückgegeben hat. Einen violetten Ford Mondeo, und zehn Minuten später war das sein Mondeo, weil er hat gesagt, putzen brauchen sie ihn nicht, und siehst du, mit dem Mondeo ist er zum Cafe Liliputbahn gefahren, und dort haben sie ihm das Handy sofort aufgesperrt.
Natürlich, Besuch im Cafe Liliputbahn, das ist dann später in der Zeitung so hingestellt worden, als wäre der Brenner dort Stammgast gewesen, da haben sich die Leute das Maul zerrissen, frage nicht. Aber meine Meinung puncto Cafe Liliputbahn ist ganz eindeutig. Pass auf, wenn bei allem, was dann passiert ist, noch jemand mit dem Finger auf das Cafe Liliputbahn zeigt, da muss ich ganz ehrlich sagen, das ist ungefähr so, wie wenn du zu einem Verhungernden sagst, er soll das Menü lieber stehen lassen, weil rein chinesisch betrachtet sind die Spurenelemente gerade nicht im fünften Haus daheim.
Gekannt hat der Brenner das Cafe Liliputbahn, weil er den Kressdorf mindestens einmal in der Woche von der Baustelle abgeholt hat. Oder besser gesagt, von der geplanten Baustelle, weil natürlich die Proteste, und
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