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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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schon hinausgebrüllt, wie ihm die Scheiße in die Schuhe gesickert ist. Nicht nur einmal hinausgebrüllt, sondern zehnmal, hundertmal, ich hab das Kind, so laut, dass man es eigentlich noch in Kitzbühel unten hören hätte müssen. Darum sage ich immer, da sollte man auch einmal nachforschen, ob nicht der eine oder andere im Dorf unten den Brenner in Lebensgefahr um Hilfe schreien gehört und keinen Finger gerührt hat, weil so sind die Leute!
    Aber interessant. Ihm ist nicht vorgekommen, dass er einsinkt. Sondern dass ihm aus der Erde die Todesgefahr entgegenschwappt. Vorgekommen ist ihm, dass die Lebensgefahr wie das reinste Schleusenwasser unaufhaltsam über seine Knöchel, über seine Waden, über seine Knie steigt, und nicht, als wäre er es, der immer tiefer in die Todesgefahr hinuntersinkt. Weil die Sinne täuschen uns ja wahnsinnig, besonders, wenn die Dämpfe entsprechend sind. Und obwohl er gebrüllt hat, dass er weiß, wo die Helena ist, und dass sie ohne ihn sterben wird, ist ihm jetzt vorgekommen, dass er nichts gesagt hat, weil es ihm erst eingefallen ist, wie es zu spät war.
    Dass es so was gibt! Aber ich sage, zum Glück hat der Mensch für so verzweifelte Situationen seine gnädigen Sachen im Gehirn. Genauso, wie man oft im Alter die Dinge verklärt, und war gar nicht alles so schlecht, im Krieg hab ich Skandinavien gesehen, in der großen Liebe mehrmals den Ikea besucht, genauso richtet uns das tröstliche Gehirn die Welt manchmal so her, als hätten wir einen Einfluss gehabt. Und wenn einer Krebs hat, dann sagen wir, na ja, aber er hätte es verhindern können, wenn er entsprechend gelebt hätte, weil Sonnenbrand, Alkohol, weißes Mehl, dunkles Fleisch, düstere Gedanken und und und. Oder gar vor achtundzwanzig Jahren einmal mit einer Raucherin geschmust, sprich selber schuld am Zungenkrebs. Und mit dem Selberschuld ist gleich alles halb so schlimm, weil immerhin einen Einfluss gehabt. Und jetzt hat der Brenner, während er schon in der absoluten Senkgrubenfinsternis mit schwindenden Sinnen nach dem Knoll getastet hat, noch gedacht: Ich bin selber schuld, weil ich hätte sagen sollen, dass ich die Helena habe. Und da siehst du, dass er im Verenden schon in die Glücksphase gekommen ist, weil immerhin selber schuld, das ist das größte Glück, das man am Ende eines erfüllten Lebens haben kann.
    Der Brenner hat sich jetzt auch gefreut, dass er am Senkgrubenboden einen Bekannten getroffen hat. Aber nicht dass du glaubst, den Knoll. Weil nach fast vierzig Stunden in einer Senkgrube - weißt du, was ich meine? Da hat der Mensch normalerweise schon mehr die Statur einer Mücke, mehr zartes Flügelgewebe als Beine und Arme, mehr ewiger Kreislauf als plumpe Formvollendung.
    Jetzt wer war es, wenn es nicht der Knoll war? Pass auf, ob du es glaubst oder nicht, der Brenner hat auf dem Boden der Senkgrube den lieben Gott getroffen. Das war natürlich eine Überraschung, frage nicht. Also für den Brenner eine Überraschung, für den lieben Gott natürlich nicht. Der hat nett herübergelächelt vom anderen Rand der Senkgrube, der dem Brenner jetzt so weit entfernt vorgekommen ist wie der andere Beckenrand im Straßganger Schwimmbad. Aber trotzdem kein Zweifel, wer der Mann war. Schon allein, wie der geleuchtet hat. überirdisch Hilfsausdruck! Das war ein Hallo beim Brenner, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Weil erstens hätte er nie damit gerechnet, dass er überhaupt einmal dem lieben Gott begegnet, und wenn schon, dann in einer schönen Umgebung, mit Trompeten, mit Posaunen, mit Kerzenlicht, mit Menü, mit Jungfrauen und und und. Aber nein, hat der Brenner gedacht, und er hat immer wieder hinschauen müssen, so sehr hat ihn die Begegnung in diesem unpassenden Rahmen überrascht: Ausgerechnet in einer Senkgrube, zwei Meter von Scheiße bedeckt, begegne ich dem lieben Gott.
    Aber interessant. Den Brenner hat der Überraschungsbesuch nicht nervös gemacht. Auch nicht, wie der liebe Gott jetzt näher gekommen ist. Und du darfst eines nicht vergessen. Der ist wahnsinnig schnell näher gekommen, der hat sich schneller bewegt als ein Licht in der Finsternis. Und je näher er gekommen ist, umso besser ist es dem Brenner gegangen. Weil der liebe Gott natürlich eine Ausstrahlung, frage nicht. Dem war die schlechte Umgebung vollkommen egal. Das hört man ja immer wieder, die richtigen Berühmtheiten sind unkompliziert. Bestes Beispiel jetzt der liebe Gott. Der hat nur gelächelt, wie der Brenner gesagt hat:

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