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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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mitten in die Lunge geschossen. Und der Bauleiter hat es dann gern gemacht, obwohl es keine schöne Aufgabe war, weil sagen wir einmal so: Der Brenner hat mehr Sommersprossen im Gesicht gehabt als der Mann, der ihn beatmet hat. Der Bauleiter hat das überhaupt nur gemacht, weil sein Chef ihm das Jagdgewehr an die Stirn gehalten hat. Aber wenn du jetzt sagst, das ist ekelhaft, dann muss ich leider sagen, das war noch der schöne Teil der Geschichte.
    Und wenn du sehr schreckhaft bist, dann denk jetzt kurz an was anderes. Mach die Augen zu und denk an den Urlaub am Meeresstrand, Liegestuhl, Sonnenöl, Wellenklang. Und nicht an das Stück Wiese neben der Senkgrube. Dort hat der Kressdorf jetzt keine halben Sachen mehr gemacht. Sprich, der erste Schnaufer, den der Brenner wieder gemacht hat, war gleichzeitig der letzte Schnaufer von seinem Lebensretter. Weil direkt in den Kopf. Und ob du es glaubst oder nicht, der Brenner hat ihn fast darum beneidet.
    Normalerweise sagt man ja, dass sich ein frisch Wiederbelebter eine Zeitlang ausruhen darf, und der muss nicht sofort wieder ins Mobbingbüro zurück, aus dem er sich gerade mit Anlauf gestürzt hat, sondern erst nach der Mittagspause. Aber das ist wieder der Vorteil als Mörder. Da musst du dich mit den kleineren Moralvorschriften nicht mehr so herumquälen. Und der Kressdorf hat jetzt dem Brenner keine Verschnaufpause gegönnt. Er hat den immer noch benommenen und zitternden Brenner mit dem Jagdgewehr in der Hand gezwungen, die beiden Leichen zum Knoll und zum Obersenatsrat Stachl in die Senkgrube zu werfen. Und siehst du, das ist das Schöne am Unglück. Das ist das Herrliche an Tod und Krankheit. Das ist das Wunderbare an Erschöpfung und Untergang. Du bist jeder Waffe hoffnungslos überlegen. Weil eine totale Erschöpfung, eine tödliche Krankheit, eine völlige Verzweiflung lässt sich von einem Jagdgewehr nichts mehr anschaffen. Und der Brenner war einfach noch viel zu erschöpft. Er hat es beim besten Willen nicht geschafft. Seine Knie sind ihm einfach immer weggekippt, Gliederpuppe nichts dagegen.
    Jetzt ist dem Kressdorf nichts anderes übriggeblieben.
    Gewehr hin oder her, er hat es selber machen müssen. In der Firma hat er bei jeder Gelegenheit aufgeseufzt und weinerlich beklagt, dass man alles selber machen muss. Aber heute nicht geklagt, nicht geseufzt und nicht aufgestampft. Sondern er war jetzt ganz auf die Sache konzentriert, fast möchte ich sagen, einer der glücklichsten Momente in seinem Leben, wo es nichts gegeben hat außer ihm und der Sache, und er hat die beiden Leichen mit ein paar konzentrierten Fußtritten über den Rand in die Senkgrube getreten, wo sie mit einem gleichgültigen Platschen verschwunden sind.
    Mein lieber Schwan, der Knoll, der Obersenatsrat und die beiden Prügelknaben in einer Senkgrube. Da ist eine Partie zusammengekommen, wo man fast sagen muss, ein kleines Kunststück, dass man eine Scheißegrube qualitativ noch verschlechtern kann.
    Den Brenner hat das Stehen noch so angestrengt, dass er sich wieder ins Gras gesetzt hat, direkt an den Rand der Senkgrube. Er hat in die Kloake gestarrt und versucht, sich an etwas Wichtiges zu erinnern, das er da unten erlebt hat. Er hat seine ganze Konzentration zusammengenommen, er hat nur mehr gewusst, dass es etwas wahnsinnig Wichtiges war. Etwas Weltbewegendes, ist ihm vorgekommen, darum hat er sich so angestrengt. Aber es ist immer tiefer versunken und ihm nie wieder eingefallen.
    Rein detektivisch gesehen war es nicht so schlimm, dass er den lieben Gott ganz vergessen hat, weil der liebe Gott war ja nicht der Täter. Der liebe Gott hat der Südtirolerin nicht angeschafft, dass sie die Helena mitnimmt. Er hat dem Brenner nicht angeschafft, dass er am Vorabend auf das Tanken vergisst. Er hat der Frau Doktor nicht angeschafft, dass sie ihrem Mann einen gigantischen Bauauftrag zuschanzt, indem sie die Abtreibung bei einem zwölfjährigen Kind nicht meldet. Er hat dem Obersenatsrat nicht angeschafft, dass er den Prater verbaut und die Frau vom Baumeister schwängert. Und vor allem hat er dem Knoll nicht angeschafft, dass er in seinem Namen Drohungen ausspricht.
    Der liebe Gott hat sich das alles nur mit einem Lächeln angeschaut, weil freier Wille. Dem Brenner war der Anblick der offenen Grube, in der seine Erinnerung auf ewig verschwunden ist, so unangenehm, dass er den Kressdorf gefragt hat, ob er die Grube wieder mit den Brettern abdecken soll oder ob es sich nicht auszahlt, weil er ihn

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