Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
zwar in der Ausstattung wie die ›Macht der Gewohnheit‹.
Er hat ein 350seitiges Prosamanuskript in der Schublade. Früherer Titel ›Unruhe‹, jetzt ›Auslöschung‹. Aber er möchte das ruhen lassen. Ihm schwebt vor, eine neue Prosaarbeit zu schreiben, die er im April 83 beendet hat und die dann im Herbst erscheint.«
[450; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
4. Oktober 1982
Lieber Thomas Bernhard,
für den Fall, daß Ihnen die FAZ vom Samstag entgangen ist, hier nochmals die Feuilleton-Seite mit der Anzeige von »Beton«.
Sie sehen, wir werben.
Herzliche Grüße
Ihr
[Siegfried Unseld]
1 Anlage 1
1 Auf S. 25 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. Oktober 1982 wirbt der Verlag für Beton mit zwei Sätzen aus Günter Blöckers Besprechung unter dem Titel Ein paar Totenköpfe (in derselben Zeitung, 25. September): »Das Vulkanische der frühen Höhepunkte, die gebändigte Fülle der autobiographischen Phase, das selbstparodistische Komödiantentum der szenischen Etüden – sie stehen in dieser Erzählung nicht neben- oder gar gegeneinander, sondern sind in der Person des Ich-Erzählers auf das perfekteste ausbalanciert. … Wir haben – unter Schmerz und Gelächter – einer Menschwerdung beigewohnt.«
[451; Anschrift: Hotel Argentina, 20, Fran Suplia, Dubrovnik]
Frankfurt am Main
11. November 1982
Lieber Thomas Bernhard,
wir haben heute »Beton« an Knopf in N. Y. verkauft, und das ist der fünfte Abschluß für eine fremdsprachige Ausgabe nach England, Frankreich, Schweden und Italien! Ich hoffe, das bringt Ihnen noch mehr Sonne nach Jugoslawien, als Sie wohl dort schon haben.
Und dann wollte ich Ihnen immer schon dieses beiliegende Blatt schicken: die Heidelberger Zement AG bestellt ein Exemplar »Beton« beim Verlag. Das ist doch eine Aufmerksamkeit ganz besonderer Art!
Und wie geht es Ihnen? Fühlen Sie sich wohl – bei der Arbeit? Hier steht alles wohl, die Dinge entwickeln sich, und in der Arbeit fühle ich mich in meinem Element!
Alles Gute für Sie und herzliche Grüße, auch aus meiner nächsten Umgebung —
Ihr
Siegfried Unseld
Anlage
[452; auf Briefpapier des Hotel Panhans, Semmering]
Ohlsdorf
27. 12. 82
Lieber Siegfried Unseld,
die Grösse des Verlegers gleichen Namens wäre selbst nach einem tatsächlichen Weltuntergang nicht mehr zweifelhaft, aber der in die Geschichte als solcher Grösste eingegangene, muss sich trotzdem auch noch mit den abstrusen Lächerlichkeiten der Literaturfabrikation herumschlagen, solange sozusagen sein Gigantenherz schlägt und natürlich auch in Kürze wieder mit dem Autor Bernhard zusammenkommen, um die Finanzen zu besprechen, auf die ja beide, Verleger wie Autor, den allergrößten Wert legen, sollen sie nicht auf der Strecke dieser grausamen Zeit bleiben.
In Wien 1 taten beide nichts dergleichen – da sich die Bochumer Szene vor zwei Jahren (im März) 2 nicht wiederholen lässt, gibt es vielleicht bei meiner Rückkehr aus Bochum am 17. Januar eine Frankfurter, sozusagen eine eingelegte Frankfurter Zwischenlandung, die jener in Bochum im wahrsten Sinne des Wortes um ein Haar gleicht.
Meine Wünsche und Grüsse sind eine Selbstverständlichkeit und wären in jeder Ausschmückung eine Geschmacklosigkeit, vor welcher ich mich zum Jahresende hüte.
Ihr in ein mehr oder weniger scheussliches Hotel gefallener
Thomas B.
1 Th. B. und S. U. treffen sich am 18. Dezember in Wien und am 19. Dezember morgens. In der Chronik berichtet S. U.: »Am Nachmittag war Bernhard freundschaftlich-liebenswürdig, kein Wort von Geld. Meine Antwort, die zeitweise Nichtlieferbarkeit von ›Wittgensteins Neffe‹ sei im Grunde ein Erfolg des Buches, quittierte er lächelnd. […] Am nächsten Morgen sollte ich mit Friederike Mayröcker um 10 Uhr frühstücken. Aber Bernhard möchte es anders: wir sollen uns in der Wohnung von Frau Maleta, der Gattin des ehemaligen Präsidenten der Republik, treffen. Ich konnte das mit Frau Mayröcker besprechen, und so war ich um 10 Uhr pünktlich mit Bernhard und dem Sohn von Frau Maleta bei der Dame, die in ihrer großen Wohnung weniger hofhielt als Hausfrau spielte. […] Und dann seine Prognose im Haus dieser Schwarzen, daß die Schwarzen keine Chance hätten. Aber auch die Sozialisten hätten keine Chance, auch die Grünen hätten keine Chance — niemand hätte eine Chance, das war wieder Bernhard, so, wie man ihn kennt.«
2 Das Gespräch zwischen Th. B. und S. U. fand
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