Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Die Ausgabe des Stimmenimitators in der Bibliothek Suhrkamp (Band 770) erscheint am 31. März 1982.
[447; Anschrift: Hotel Beograd, Lovran / Opatija / Jugoslawien]
Frankfurt am Main
19. April 1982
Lieber Thomas Bernhard,
schönen Dank für Ihren Brief vom 7. April, der mir diesen glücklichen Thomas Bernhard zeigt! Es war sehr schön, Sie einmal dazuhaben, und Sie haben sich in dieser Gesellschaft oder, um mit Ihnen zu sprechen, in der »Horde von meinesgleichen« gar nicht so unwohl gefühlt.
Mit Ihrer Bemerkung zu Goethes Tischbein-Bild haben Sie recht: das Bein ist etwas zu lang geraten, aber vor allem: Tischbein hat den rechten mit dem linken Schuh verwechselt!
Ich diktiere diesen Brief am Samstag, dem 17. April, und heute habe ich zum zweiten Mal »Wittgensteins Neffe« gelesen, und das hat mir sehr gefallen: eine neue Form Ihrer Autobiographie, und wie faszinierend und schillernd erscheint dieser Neffe, der, da haben Sie recht, in seiner Eigenart so revolutionär ist wie sein Onkel in seinem Philosophieren. Worüber man nicht schweigen kann, darüber soll man reden!
Ich finde auch ganz erstaunlich, wie diese Sterbensgeschichte eingewoben ist in Ihre Lebensgeschichte und wie dieser Sterbende Ihnen ebensoviel Kraft gibt wie Ihr »Lebensmensch«. Alles ganz goethisch, eine große Konfession.
Ich bin sehr froh, daß Sie Schaffler gegenüber jetzt reagiert haben, warten wir jetzt seine Antwort ab, und daraufhin werde ich ihm noch einmal schreiben. 1 Es wäre schön, wenn man die fünf Berichte zum April des nächsten Jahres herausgeben könnte. Wir würden das in einer großen Auflage tun, und wenn Schaffler keine Honorarforderungen stellt (oder stellen kann), dann erhalten Sie das volle Honorar und ein Mehrfaches von dem, was die Deutsche Buchgemeinschaft anbieten kann.
Ich wünsche Ihnen ein langes Anhalten dieser Phase.
Herzliche Grüße, wie immer,
Ihr
Siegfried Unseld
P. S. zu »Beton«: Sony = Cony haben wir geändert in »eine japanische Firma«. 2
1 Am 3. Mai 1982 schreibt S. U. an Wolfgang Schaffler: »[…] auf Bitten von Thomas Bernhard hin wende ich mich an Sie. Er sähe gerne im nächsten Frühjahr im Suhrkamp Verlag eine zusammengefaßte Ausgabe der bei Ihnen erschienenen fünf autobiographischen Bücher unter dem Titel ›Neunzehn Jahre‹. Unter einer solchen zusammengefaßten Ausgabe verstanden er und ich eine Ausgabe in einem Band in größerer Auflage zum vernünftigen Preis; jetzt aber teilte er mir mit, daß er doch wieder eine Ausgabe in fünf Einzelbänden wünsche, geschlossen in einer Kassette. […] Thomas Bernhard ist der Auffassung, daß er uns zu dieser fünfbändigen Ausgabe autorisieren kann, wir erhielten jedoch lediglich das Recht für diese geschlossen zu verkaufende Ausgabe, keine anderen Rechte […]. Dieses vom Autor gewünschte Arrangement ist sicherlich ungewöhnlich, aber, wie wir diesen Autor kennen, liebt er das Ungewöhnliche, und er hält uns ja ganz schön an, diesem zu folgen.« Unter dem Datum des 20. Juni 1982 wendet sich Th. B. in dieser Angelegenheit selbst brieflich an Wolfgang Schaffler: »Dass ich eine komplette und ausgezeichnet gemachte Ausgabe der ›Neunzehn Jahre‹ nur wünschen kann, ist selbstverständlich, wie dass es ein Unterschied ist, ob die schlampige Buchgemeinschaft oder Suhrkamp eine solche herausbringt. Ich schrieb in meinem Brief aus Lovran Anfang April [siehe Brief 446] ja auch, dass es sich nur um eine einmalige Lizenzausgabe handeln kann. Bitte setzen Sie sich mit Unseld so in Verbindung, dass es für meine ›Autobiografie‹ und für mich von Vorteil ist.«
2 In der Buchausgabe wird aus der »japanischen Firma« eine »amerikanische«.
[448; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
10. August 1982
Lieber Thomas Bernhard,
der Schein trügt nicht: es war eines der angenehmsten Mittagessen, das ich genießen durfte. Ich möchte mich sehr für meine Unpünktlichkeit, mit der ich aus der Verlegerrolle fiel, entschuldigen, aber die Verhältnisse, sie waren eben anders. Ich mußte viel erzählen und habe es gerne getan, und wir haben manches erinnert und manches nicht gesprochen.
So zum Beispiel, daß Piper uns absolut nicht die Genehmigung geben möchte für eine Auswahl der Gedichte von Ingeborg Bachmann durch Sie. 1
Dann freue ich mich, daß wir im Oktober das Manuskript »Der Schein trügt« erhalten.
Und als guter Termin für Ludwigsburg bietet sich Sonntag, der 5. September, an. Es wäre ein
Weitere Kostenlose Bücher