Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
einer Art Freundschaft zusammen sind.
Herausragend Glenn Gould, der bedeutendste Pianist dieses Jahrhunderts, ein Herr Wertheim und der Ich-Erzähler. Thomas Bernhard bemüht sich, mir die Geschichte zu erzählen. Diese drei sind zusammen im Mozarteum, dann zusammen in der Klavierschule von Horowitz. Alle wissen, Glenn Gould ist der Große. Der Ich-Erzähler könnte vielleicht auch ein Pianistenvirtuosentum schaffen, aber Wertheim weiß, er schafft es nicht. So kann es der Ich-Erzähler leichter aufgeben, aber Wertheimer fällt seine Aufgabe sehr schwer. Während Glenn Gould verrückt ist, spielt und in zwei Jahren 34 Konzerte gibt, dann aber aufhört, sich in den USA in ein Haus am Wald zurückzieht und nur noch in seinem Studio an Platten arbeitet und dann dem vorgegebenen Ende folgt, ist Wertheim vollkommen betroffen von dem Schicksal von Glenn Gould. Er lebte fast 20 Jahre mit seiner Schwester zusammen. Die Schwester war sein ein und alles für ihn. Er hat, so sagt er, für seine Schwester die Karriere geopfert, d. h. sein Pianistentum für die Schwester aufgegeben. Im Alter von 46 Jahren aber lernt die Schwester einen Schweizer kennen, den Chef eines Chemiekonzerns in Chur, und obschon er diese Schwester mit allen Fesseln an sich gefesselt hat und ihr keine Chance gibt, zu entkommen, benützt sie diese Gelegenheit. ›Geh weg und heirate diesen Mann‹, und Wertheim ist allein. Er wird betroffen von dem Tod von Glenn Gould und vom Weggang, dem im Stichgelassensein der Schwester. Wertheim reist ihr nach, erhängt sich 100 Meter von der Wohnung entfernt in Chur. Der Ich-Erzähler, von der Schwester zum Begräbnis aufgefordert, besucht das Begräbnis, fährt nach Traich, der letzten Wohnstatt derer von Wertheim, wo Papiere von Wertheim noch aufbewahrt werden sollten. Unterwegs besucht er einen Gasthof ›Wankham‹, und beim Betreten des Gasthauses werden seine Überlegungen und die ganze Geschichte noch einmal repliziert. Ich meine, ein guter Thomas Bernhard, ein erfolgreicher Thomas Bernhard, aber ohne diese Bedeutung und diese Brillanz von ›Beton‹ und ›Wittgensteins Neffe‹.
Er erinnert noch einmal daran, mit Fug und Recht, denn am 24. Mai haben wir vor 20 Jahren den Insel Verlag gekauft, daß ›Frost‹ damals eine Rolle spielte. Er verabscheut die Idee eines Buches über ›Frost‹, aber er hätte doch sehr gerne, daß man ›Frost‹ als Leinenausgabe noch einmal herausbrächte. Und im übrigen auf sein Freilassinger Konto wünsche er sich DM 30.000.—.
Entzückt ist er vom Umschlag, den Fleckhaus für ›Chur‹ gemacht hat. Wir sollen ihm dringend eine Fotokopie schicken.«
[459; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
26. April 1983
Lieber Thomas,
ich habe mich sehr gefreut, daß Ihnen der Text zu »Der Untergeher« gefallen hat. In dieser Woche werden wir also das Buch ankündigen und hoffen, es wird viele Leser finden. 1
Das Manuskript ist bereits im Satz. Die Herstellung hat uns versprochen, daß die Fahnen bis zum 10. Mai vorliegen werden. Wenn wir nichts anderes von Ihnen hören, wird Frau Zeeh veranlassen, daß die Fahnen direkt von der Druckerei in Nördlingen aus zu Ihnen nach Ohlsdorf geschickt werden.
Sie sehen, wir arbeiten prompt.
Von dem Fleckhaus-Entwurf zu »Chur« habe ich Ihnen einen fotografischen Abzug machen lassen.
Herzliche Grüße
Ihr
[Siegfried Unseld]
Anlage 2
1 In der Chronik hält S. U. für den 23. April fest: »Meine Hauptarbeit ist am Samstag vormittag von 9.00 bis 11.30 h, nach der zweimaligen Lektüre von Thomas Bernhards Manuskript ›Der Untergeher‹ einen Ankündigungstext [für die Vertreter und die Programmvorschau des Verlags] zu schreiben. Ich habe das Manuskript sehr genau und zweimal gelesen, aber beim zweiten Lesen wird die Struktur einer Sache deutlicher, aber im Grunde genommen erfährt man einen Text doch am besten, wenn man über ihn schreibt.« Am 24. April findet sich der Vermerk in der Chronik : »Anruf bei Thomas Bernhard. Ich lese ihm den Ankündigungstext vor. Er war ganz ›begeistert‹.«
2 Die Anlage hat sich nicht erhalten. Es handelt sich vermutlich um den im Brief erwähnten Abzug des frühen Umschlagentwurfs für Der Untergeher , als der Graphiker Willy Fleckhaus davon ausging, daß die Erzählung den Titel Chur trägt. Der Entwurf ist abgebildet in Th. B.: Werke 6 , S. 159.
[460]
Ohlsdorf
20. Mai 83
Lieber Siegfried Unseld,
die Korrektur hat mir Freude gemacht, 1
Ihr
Thomas B.
1 Die
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