Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Band 870 der Bibliothek Suhrkamp am 28. August 1984.]
Thomas Bernhard hat mit Peymann für Dezember 1984 die Uraufführung eines neuen Stückes vereinbart. Es heißt ›Ritter, Dene, Voss‹ und richtet sich nach den Namen der Schauspieler Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss – whatever this means.
Dann sprach er ganz von sich aus über die neue Prosa-Arbeit und die Tatsache, daß er gerne ein neues Buch im Herbst sähe, freilich, die Fassung sei fertig, aber er müsse noch einmal durchgehen, und er könne es erst Ende April abliefern. Damit war ich nicht zufrieden, weil wir ja die Vertretersitzung haben und ich den Text unbedingt kennen müßte. Der Titel lautet ›Holzfällen‹. Das Buch spiele beim Abendessen einer dekadenten Gesellschaft, die jedoch irgendwie eine Sehnsucht nach Anderem entwickeln möchte.
Umfang wie ›Untergeher‹. Ich rang ihm ab, daß wir das Manuskript bis zum 14. April hierhaben sollten. […]
Und dann zum Brief von Herrn Schaffler: er hätte getan, was er tun könnte, nämlich Herrn Schaffler eindeutig gesagt, daß er keine Fortführung der autobiographischen Bände im Residenz Verlag wolle, also keine Genehmigung für irgendeine Neuauflage. Das wolle Herr Schaffler natürlich nicht zur Kenntnis nehmen. Er meinte, ich solle mich an Herrn Schaffler wenden und Herrn Schaffler vorschlagen, einen Rechtsberater mit dieser Frage zu beauftragen. Freilich wird das eine schwierige Sache sein, denn die Rechtslage ist wirklich unklar.
Das Gespräch wurde sehr konzentriert geführt, weil er um 22.00 Uhr ein Treffen mit seinem Bruder hatte. Immer wieder versicherte er, er würde konzentriert an der Prosa ›Holzfällen‹ arbeiten und wolle mit nichts anderem mehr befaßt sein. Dann würde er gern eine Reise machen, z. B. nach Rom. Ich lud ihn für das Wochenende 7.-9. April ein: Treffen in Rom, Übergabe des Manuskriptes ›Holzfällen‹ […]. Die Aussicht Rom vergnügte ihn sehr. Wir gingen dann noch zum Treffpunkt mit dem Bruder, einem Arzt, einem sehr sympathischen Menschen. Wir blieben dann doch noch eine Stunde im ›Luger Eck‹ bei Rotwein sitzen und sprachen über Gott und die Welt.
Am nächsten Morgen rief ich ihn um 9.00 Uhr an. […] Er bedankte sich für den Abend, freute sich über die Aussicht Rom und erzählte mir das Folgende: er habe am Morgen seiner Tante und seinem Bruder von seiner neuen Prosa-Arbeit erzählt; er habe keinen Titel genannt. Dann aber habe die Tante gesagt, sie hätte in der Nacht ein Buch in der Hand gehalten, das den Titel ›Holzfällen‹ gehabt habe.«
[466; Anschrift: Wien]
Frankfurt am Main
11. April 1984
Lieber Thomas,
mein Anruf wird Ihnen gezeigt haben, daß ich wohlbehalten mit dem Manuskript in Frankfurt eingetroffen bin, und es war ein herrlicher Flug, weil ich mit der Lektüre beginnen konnte, die ich bis in die Nacht hinein fortsetzte. Ich bewundere diesmal ganz besonders die musikalische Struktur des Ganzen, auch dies ist ein echter Bernhard! 1
Parallel zu mir liest Raimund Fellinger eine Kopie; wir wollen das ganze Manuskript noch einmal abschreiben lassen, die Abschrift wird dann von Herrn Fellinger kontrolliert, so daß ich hoffe, daß wir einen fehlerlosen Satz erhalten. Sie sehen: die Zeichen hier stehen auf Thomas Bernhard.
Ich habe mich sehr für diese Wiener Begegnung zu bedanken. In unserer Beziehung war sie sicher eine der schönsten und angenehmsten.
Für die nächsten Tage und Wochen, die mehr als das Übliche von Ihnen fordern werden, wünsche ich Ihnen das denkbar Beste.
Ich freue mich, daß wir schon einen Venedig-Termin vereinbart haben. Wie Sie sagten: a quattro. 2
Alles Gute und herzliche Grüße —
Ihr
Siegfried U.
P. S.: Sie erhalten mit den Fahnen im Mai Ihr Manuskript und die Abschrift.
1 Die für den April geplante Begegnung in Rom sagt Th. B. ab; S. U. hält dazu in der Chronik fest: »Seinen ›Lebensmenschen‹ Hede Stavianicek hatte er aus dem Krankenhaus geholt, weil dort die Umstände zu unwürdig waren, und er könne sie nicht verlassen, also er könne nicht nach Rom kommen.« Statt dessen reist S. U. am 6. April nach Wien. Im Reisebericht Wien, 6.-7. April 1984 heißt es dazu:
»Thomas Bernhard war einerseits in einer großartigen Stimmung, andererseits war er bedrückt wegen des Hinsterbens seines ›Lebensmenschen‹ Hede Stavianicek. Sie war zu Hause, dann im Krankenhaus, dort war es aber so furchtbar, daß er sie herausholte. Er wolle sie zu Hause sterben lassen, aber das
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