Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Verständnis, daß er vor der Drucklegung Ihren Text sehen müßte. Das scheint mir aber klar zu sein; Sie würden es ja auch nicht anders wollen, da es sich ja um eine wichtige Ausgabe handelt. 1
Wie geht es Ihnen?
Herzlich
Ihr
Unseld
1 Ludwig Hohl und S. U. treffen sich am 20. Januar 1972 in Genf. Im Reisebericht Paris—Genf—Fribourg, 18.-22. Januar 1972 hält S. U. fest: »Seine Hauptsorge ist nun die Vorbereitung des BS-Bandes ›Vom Erreichbaren und vom Unerreichbaren‹. Er hat hier sehr präzise typographische Vorstellungen, die er genau vorbereitet hat und bis ins einzelne mit mir durchsprach. [. . .] Im Impressum soll vermerkt werden: ›Die Texte dieses Buches sind 1934 bis 1936 entstanden. Erste Veröffentlichung in «Die Notizen oder Von der unvoreiligen Versöhnung». Erster Band, Zürich 1947.‹ Mit einem Nachwort von Thomas Bernhard ist er einverstanden. Aber er bittet um Verständnis, daß er das vor der Drucklegung sehen möchte.«
[182]
Ohlsdorf
11. 2. 72
Lieber Doktor Unseld,
gerade lese ich eine Besprechung im »Nouvel Observateur« vom 31. Januar |»Verstörung«|, die ich zur Lektüre empfehle. 1
Herrn Rach habe ich vor einer halben Stunde über alles mögliche das neue Stück betreffend, geschrieben, bitte unterhalten Sie sich mit ihm. 2
Die Salzburger Aufführung wird aufgezeichnet und ich bitte Sie, in der Abmachung mit dem Fernsehen unsere Absprache, das Honorar hat in Höhe meiner gesamten Verlagsschulden zu lauten, nicht zu vergessen.
»Frost« wird nächsten Winter gedreht, mit allerneuesten Apparaturen, ein Jahr Vorbereitung, darauf drängte ich. Der Vertrag wird aber in Kürze unterschrieben. 3
Der Grimmepreis hat hier viel geebnet.
»Der Italiener« aber ist, glaube ich, vor einiger Zeit schon an den Deutschen Taschenbuchverlag in Lizenz gegeben worden. Was soll ich dazu sagen?
Ich empfinde es als unsinnig und doch auch mehr als kurzsichtig, dass Sie sich monatelang nicht melden.
Andererseits bin ich allein am besten.
Mehr und mehr stellt sich mir der Verlag als eine anonyme gegnerische Macht dar. Entkräften Sie diesen Eindruck.
Die meiste Zeit bin ich wütend, wenn ich nur an Suhrkamp denke.
Vielleicht sollten wir einmal wieder zusammensitzen.
Oder auch nicht.
Die Gleichgültigkeit hilft mir über alle Berge von Unrat.
Man kann nicht genug Gegner sein.
Der Pegel des Stumpfsinns steigt.
Der Verlag ist dumm, wenn er glaubt, den Grillparzerpreis, den er für sein eigenes Produkt (»Boris«) von der Akademie der Wissenschaften zu Wien bekommen hat, ignorieren zu können. Hochmut oder etcetera. 4
Antworten Sie auf diese Sätze nur, wenn Sie gerade in einer Phase mit Humor sind.
Der blödsinnige Grimmepreis, kann ich nur sagen. 5
Zuletzt noch ein ernster Satz: ich erbitte sofort die erst im März fällige Rate von zehntausend auf mein Gmundner Konto.
Es wäre so vieles noch anzumerken, dass es unsinnig ist, noch eine einzige Anmerkung zu machen.
Wir stehen alle auf einer Eisdecke von Missverständnissen. Rühren wir uns also besser nicht, sonst brechen wir ein.
Mir wäre recht, wenn Sie mir gleich antworteten.
Nehmen Sie alles, wie Sie wollen.
Ihr
Thomas Bernhard
|P. S.: Vielleicht ist in Frankfurt HOPFEN u. MALZ verloren?!|
1 Siehe Michel Cournot: Le mal du Prince. »Perturbation« par Thomas Bernhard , in: Le Nouvel Observateur , 31. Januar 1972.
2 In seinem Brief an Rudolf Rach vom 11. Februar 1972 bezeichnet Th. B. »die Tatsache, dass Ganz den Doktor spielt und dass Herrmann und Bickel mitarbeiten in Salzburg [. . .] als die glücklichste«. »Ich denke, es müsste sich alles zum besten entwickeln lassen mit dem Stück, indem es nach Salzburg die Hamburger in der Premierenbesetzung übernehmen, und es dann gleichzeitig in Zürich und Berlin gespielt wird. Darauf soll alles seinen Lauf nehmen, aber zuerst in Zürich und Berlin nach der Hamburger Übernahme, empfinde ich als folgerichtig. Selbstverständlich sollen Sie einem Mann Ihres Vertrauens ›den Wahnsinnigen und Ignoranten‹ zum Lesen geben, aber im allgemeinen bin ich dafür, dass wir nicht die ganze scheussliche Theaterwelt mit unserem Stück vertraut machen, dass wir nicht selbst schuld sind, wenn im Sommer alle mein Schauspiel kennen und ihr Urteil noch bevor der Vorhang aufgegangen ist, gebildet haben. Dieser übliche Weg ist der grauenhafteste. Warum soll es nicht in Nürnberg aufgeführt werden, warum nicht einmal in einem Siechenhaus oder in
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