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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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Vielleicht sollte ich es. Mir scheint, daß der Schluß verwaschener sein müßte. So wie er jetzt ist, stellt er eine eindeutige Willenserklärung zum Weitermachen dar. Die Diva hat in einer hysterischen Laune beschlossen, nicht zu fahren, jetzt hat sie sich besonnen und fährt. Könnte die Entscheidung hierüber nicht von ihrer Umwelt getroffen werden? Beispielsweise durch ein Wort des Doktors, um so deutlich zu machen, daß die Entscheidung hierüber ihr gar nicht allein obliegt. Ich jedenfalls würde einen offeneren, wenn man so will auch verwascheneren Schluß vorziehen. Es scheint mir, als ob hier das vorgeformte Handlungsklischee stärker ist als sein Einbezug in die eigentliche Intention des Stücks.« Th. B. antwortet mit Brief vom 17. November 1971: »[. . .] tatsächlich wirkt die geringfügige Änderung am Schluss des Stückes und die unmittelbare Anregung, den Ausgang der Szene gleich nach Ihrer Abreise zu kontrollieren, gaben Sie. Aus Salzburg höre ich, dass Peymann ›erste Vorschläge übermittelt hat‹. Von ihm selbst weiss ich nichts, ich habe auch seine Adresse nicht, vielleicht schreiben Sie sie mir kurz. [. . .] Schon im Frühherbst hat es geheissen, ich könne über das Geld [das Honorar für die Aufführung von Der Ignorant und der Wahnsinnige in Salzburg] verfügen, jetzt will ich aber nicht den Autorenrevolver anlegen. Sie verstehen. Andererseits benötige ich das Geld, hier brennt es überall. Am 27. bin ich in Zürich, bis 1. Dezember und werde Buckwitz das Stück zum lesen geben [siehe Anm. 1 zu Brief 178]. Bitte sagen Sie Unseld, dass das düstere Wetter der grösste Vorteil für die Prosa ist, vielleicht bin ich mit dem Buch früher als geplant fertig. Ihr Besuch ist wiederholbar, das wissen Sie.« Th. B. ändert den Schluß. In einer Vorfassung (NLTB W 54 /1, Bl. 78) fragt die Königin den Kellner Winter, ob er, wie von ihr verlangt, die Telegramme mit den Absagen all ihrer Verpflichtungen abgeschickt habe. Winter antwortet: »Natürlich nicht [sic] gnädige Frau«, worauf die Königin antwortet: »Das ist gut / dass Sie die Telegramme nicht abgeschickt haben / das beruhigt mich [. . .].« Der Doktor hat hier das allerletzte Wort: »Erschöpfung / nichts als Erschöpfung.« In der Endversion (Th. B.: Werke 15 , S. 328) fragt die Königin der Nacht Winter: »Haben Sie die Telegramme abgeschickt / die Telegramme nach Stockholm / nach Kopenhagen«, worauf Winter antwortet: »Natürlich gnädige Frau«. Daraufhin der Doktor: »Das ist gut / daß Sie die Telegramme abgeschickt haben / das beruhigt mich / Ich bin beruhigt / ich bin ganz beruhigt«. Das Schlußwort hat die Königin: »Erschöpfung / nichts als Erschöpfung« (siehe auch Th. B.: Werke 15 , S. 467ff.).
    2   Der Brief trägt rechts oben den handschriftlichen Vermerk von S. U.: »mündl[ich]. erl[edigt].«, was sich wohl auf die Festlegung eines Treffens bezieht.

[174; Anschrift: Ohlsdorf; Telegrammnotiz]
     
    Frankfurt am Main
    2. November 1971
    Erbitte Anruf wegen Treffen 10. November – Gruß Unseld
    Suhrkamp Verlag

[175; Anschrift: Ohlsdorf]
     
    Frankfurt am Main
    11. November 1971
    Lieber Herr Bernhard,
    Sie sehen, ich sitze wieder an meinem Schreibtisch. Mit einigen Schwierigkeiten habe ich es also doch noch geschafft, um 20.00 h in Frankfurt zu sein; Willy Fleckhaus erwartete mich, wir konnten unser Gespräch noch führen.
    Ich bin sehr froh über die Salzburger Begegnung, das Besprochene wird in jedem Detail bedacht und ausgeführt werden. Mit Herrn Rach sprach ich schon, wir lassen jetzt Ihr Stück fotokopieren, es geht Ihnen Anfang nächster Woche wieder zu.
    Und ebenfalls folgen die beiden Bände »Deutsche Erzähler«. 1
    Nun aber das Wichtigste: mir scheint, das Stück ist Ihnen gelungen. Es braucht natürlich die schauspielerische Ausfüllung, aber es ist mehr als eine Partitur, ein strenger, harter, karger, dramatischer Körper, der mit Sicherheit auf der Bühne jene Mitte zwischen Ergötzen und Entsetzen, Verzweiflung und Glück auslösen wird. Meinen Glückwunsch. 2
    Herzlich
    Ihr
    Siegfried Unseld
    1   1971 erscheint im Insel Verlag der Band 2 der Deutschen Erzähler (ausgewählt und eingeleitet von Marie Luise Kaschnitz), zusammen mit dem zuerst 1912 publizierten Band Deutsche Erzähler (ausgewählt und eingeleitet von Hugo von Hofmannsthal).
    2   S. U. schreibt in seinem Reisebericht Wien—Salzburg, 7.-10. November 1971 :
»Das war so ziemlich meine anstrengendste Reise.

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