Der Briefwechsel
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Graz
20. Juni 1966
Lieber Herr Dr. Unseld,
vor einigen Tagen habe ich die Besprechung meines Romans in der »Zeit« gelesen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen werden: aber ich kann mich damit schwer abfinden. Wie ist es nur möglich, daß das Buch Leuten zur Besprechung gegeben wird, die von vornherein voreingenommen sind und sich nicht einmal die Mühe geben, das zu verbergen. Diese unsensibel, unintelligent, gehässig geschriebenen Kritiken, die nun Mode zu werden scheinen, hat mein Buch nicht verdient, trotz der Schwächen, die ich mir gern nachsagen lasse, wenn sich die Besprechung dem Niveau meines Buches anpaßt. Ich frage mich nur, was man dagegen unternehmen könnte. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß mir das Buch sehr am Herzen liegt und daß ich, obwohl
35 ich es vor zwei Jahren geschrieben habe, im großen und ganzen davon überzeugt bin. Diese Voreingenommenheit dagegen kann ich nicht verstehen. Es liegt mir doch an dem Roman viel mehr als an den Stücken. Ich frage nun nicht nur mich, sondern auch Sie, weil ich Vertrauen habe, was ich tun könnte. Ich möchte zeigen, daß die Urteile in der »Zeit« 1 und in der »Welt« 2 verlogen und leichtfertig sind, sehe aber keinen Weg. Gern würde ich einen »großen« Artikel gegen all diese Kritiker schreiben, die die Konsumliteratur, zum Beispiel die Romane eines Günter Grass, zur literarischen Norm erheben wollen. Andererseits möchte ich mein Buch rehabilitieren. 3 Eine Buchhandlung in Würzburg hat mich zu einer Lesung eingeladen, auch Bayreuth. Vielleicht ließe sich weiter etwas machen.
Noch eine Frage habe ich: der Residenzverlag hat mich gefragt, ob ich, aus patriotischen Motiven, etwas für ihn hätte. Ich habe allerdings einige Geschichten, die ich zumeist vor dem Roman geschrieben habe, nicht sehr gute, nicht sehr schlechte, für Ihren Verlag eher nicht geeignet. Soll ich dem Residenzverlag positiv antworten?
Vielen herzlichen Dank nochmals für die schönen Tage in Frankfurt, und entschuldigen Sie den langen Brief. 4
Ihr
Peter Handke
1
Wolfgang Werth, Schreibmuster , in: Die Zeit , 17. Juni 1966. »Das Buch zerschellt gerade an jenen Spiegeltricks, Eselsbrücken und Hilfskonstruktionen, die es haltbar machen sollen. Daß der Autor Verschiedenes, einander Widersprechendes gleichzeitig erreichen will, führt dazu, daß er letzlich gar nichts erreicht. ›Die Hornissen‹ bleiben ein Sammelsurium von Ansätzen, Skizzen, Glossen, Wortregistern und literarischen Kopien, die Handkes Belesenheit gerade in Sachen ›Schreibmuster‹ verraten – eben jener Literatur, gegen die er auf der Princeton-Tagung der Gruppe 47 in vielberedetem Alleingang polemisiert hat. War das wirklich der Autor der ›
36 Hornissen‹? Das zweite Buch von Peter Handke wird dieses Vexierrätsel vielleicht lösen.«
2
Heinz Piontek, Ein symptomatisches Debüt . Peter Handkes Erstling »Die Hornissen« , in: Die Welt , 12. Mai 1966: »[…] Peter Handke, 1942 in Kärnten geboren, möchte uns mit seinen ›Hornissen‹ ein X für ein U vormachen. Das, was er konformistisch einen Roman nennt, ist eine Masse von kurzen Beschreibungen, die er nach einem ausgeklügelten System derart angeordnet hat, daß der Eindruck einer durchgehenden Bewegung entsteht, der Anschein einer Fabel. In Wirklichkeit jedoch rührt sich nichts, der Autor tritt auf der Stelle, nach den ersten fünfzig Seiten ist er mit seinem Latein am Ende, redet – im genauen Sinn des Wortes – drum herum. Stoff, der für eine Erzählung ausgereicht hätte, wird so lange aufgeblasen, bis er Romanumfang annimmt: auch das ist symptomatisch für die jungen deutschen Erzähler.«
3
P. H. antwortete den Kritikern seines Romans Die Hornissen , speziell Jakov Lind, und zwar in der Einleitung zum Vorabdruck seines zweiten Romans Der Hausierer in: Akzente , 5/1966, S. 467 (siehe Brief 18, Anm. 1). Der hatte in einer Besprechung des Romans ( Zarte Seelen, Trockene Texte , in: Der Spiegel , 11. Juli 1966) erklärt: »Was mich an den ›Hornissen‹ am meisten bekümmert, ist die Aufgeblasenheit der Sprache, die völlig ›straight‹ ohne jeden Schimmer Humor serviert wird. […] Und das bekümmert einen wirklich, weil nämlich Handke jung, begabt und intelligent ist und weil er (auch das ist dem Buch zu entnehmen) Gefühl hat. Er ist kein kalter, trockener Mensch, sondern ganz im Gegenteil eine hypersensible, leicht reizbare, etwas deprimierte Seele. Diese Überempfindlichkeit ist das Kennzeichen
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