Der Briefwechsel
Siegfried Unseld kein Wort mehr, jede Art Trost eine Verharmlosung, den endgültigen Fall noch beschleunigend? Statt dessen: Flucht – Flucht, Fersengeld des Verlegers, wortlos, vor mir, dem vom Kippen Bedrohten. Und ich dann? Von solcher Flucht entsetzt, und dann sogleich bitter-erheitert. Zuerst wie verraten; und dann einverstanden, sich so auf sich zurückgeworfen zu sehen; und zuletzt so gestärkt (und bestärkt), episodisch jedenfalls, für die Folgenacht, und in der Folge immer wieder.« (P. H., Zeit mit Siegfried
352 Unseld (ohne Zeitwörter) , in: P. H., Meine Ortstafeln. Meine Zeittafeln , S. 423f.)
S. U. hielt in einem Anhang zum Reisebericht USA , 16.-21. November 1978 , fest: »Er [P. H.] wohnt im Hotel ›Adams, 86th Street, 5th Avenue, im 21. Stock – 2-Zimmer-Appartement. Er empfängt mich und sieht fast verwandelt aus, jünger, schlanker, irgendwie vergeistigter, sein mönchisches Leben ist evident. Sein erster Satz, nun sei er schon den 36. Tag hier. Er lobt den Blick über die 5th Avenue und den Central Park. Die Zimmer sind geräumig. Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, mit einem vom Hotel gestifteten Schreibtisch, Küche, Badezimmer – dies für 1400 Dollar im Monat. Lange Zeit war er verzweifelt, weil es mit dem Schreiben nicht richtig begann und weil er überhaupt Schwierigkeiten habe. Bisher hätte er seine Notizbücher noch nicht verwenden können, er schreibe alles so auf wie damals beim ›Hausierer‹ – 20-40 Zeilen pro Tag, er würde Großartiges schreiben. Immer wieder sagte er dies vor sich hin, gleichsam, als sei ich nicht da und hörte nicht zu. Auf dem Schreibtisch und im Zimmer Karten und Wanderkarten von Alaska. Er schriebe täglich zehn Stunden, dann ginge er aus, aber er träfe und spräche kaum mit jemandem, ich sei in diesen 36 Tagen nun der fünfte Mensch, der mit ihm ausging. Frauen vermisse er nicht. Und immer wieder sein Bemühen, ›großartig‹ schreiben zu wollen. Er ist noch drei Wochen in diesem Hotel, dann will er zwei Monate nach Madrid gehen, dann ein paar Monate nach Athen. Nach San Francisco führe er nicht – eine Freizeitstadt. Abends essen wir im ›Carlyle‹ – Anzug mit Schlips und Weste. Ihn interessiert im Moment nichts, was um ihn herum vorgeht, selbst nicht die 300 Selbstmörder in Guayana. Er denkt nur an seinen Roman – den Titel, den er sich nun ausgesucht hat: ›Die Vorzeit-Formen. Roman‹.«
353 [280; handschriftlich]
[New York]
28. November 1978
Lieber Siegfried –
weil mir dieses Bild so gefallen hat, und weil ich heute gut gearbeitet habe und überhaupt (heute, jetzt) guter Dinge bin, schicke ich Dir, vor der schon leuchtenden Skyline sitzend, einen herzlichen Gruß.
Dein
Peter H.
[Anlage]
Kunstkarte: »Portrait of Juan de Pareja. Painting by Diego Velázquez, Spanish, 1599-1660«
354 1979
[281]
[München]
[Mannheimer Straße 5]
30. Januar 1979
Lieber Siegfried,
also. Gern würde ich ja einen Witz darüber machen. Ich werde wohl ab 12. Februar in Paris sein und wahrscheinlich bei meinen Nachbarn in Neuilly wohnen: 51, rue Madeleine Michelis (Greinert). Telefon 00331/637 41 16. Hoffentlich bist Du gut aus der Weite zurück (wie ich?) Ich weiß schon ungefähr, was ich geschrieben habe. Bitte, lasse es niemanden sonst lesen, und, bitte, sprich mit niemandem darüber. 1 Sollte ich nicht nach Paris gehen, wird Libgart wissen, wo ich bin. Anfang Februar werde ich wohl einige Tage in Wien sein, weiß aber noch nicht, wo. Vielleicht rufe ich Dich an. Ob Du in Deinem Büro noch in einer Hawaii-Welle sitzt? 2 Gern würde ich Dich bald sehen.
Herzlich,
Dein Peter
| (Das ist, wie mir gerade einfällt, mein erster »Brief« seit über 4 Monaten.) |
[Anlage] 3
1
In der Chronik hält S. U. unter dem Datum des 5. Januar 1979 fest: »Am Morgen Telefonat mit Peter Handke. Hochinteressant: er bleibt in München bei Hermann Lenz, weil er durch monatelan
355 ges Hotelleben nun kaputt ist, vielleicht auch krank. Er braucht jetzt Wärme. Ich sprach ihn darauf an, welche Lebensleistung er vollbracht habe, Vater und Mutter gleichzeitig zu sein, allein zu sein, alles selbst zu schaffen. Häuser, Wohnungen, Umzüge. Jetzt sind ihm seine persönlichen Mythen zusammengebrochen, einfach weggeschwommen, weggerutscht, sie seien zugeschüttet. Aber er lachte, vielleicht sei das gut so. Ich sagte, daß ich ihn für stark und für fair hielte, er sagte: er sähe schon, seine Stärke beginne jetzt zu zweifeln. Er
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