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Der Briefwechsel

Der Briefwechsel

Titel: Der Briefwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Peter-Unseld Handke
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nimmt Räume und verbietet Räume und tötet damit. Töten, ja, das ist es. Weil man nicht mehr atmen kann, weil man keine Räume hat. Doch ich sagte ihm, daß ich hier einen Widerspruch zur Botschaft seines Buches sehe. Natürlich könne man das alles ausdenken, interpretieren, der Titel ›Raumverbot‹ sei auch schön, der Raum sei etwas Göttliches, aber ich könne ›Das Raumverbot‹ nicht verstehen. Das sei eine Aufschrift gewesen auf einer Wand an der Universität in München, das hätte ihm gefallen. Dann war das Gespräch darüber abgeschlossen. Er war sehr freundlich, wirklich bis ins Innere höflich. Für die neue ›es‹
360 schreibt er ein Poem ›Anrufe‹, 60 Seiten. Im Fernsehen die Bilder aus dem Iran, das Erschießen der Generale und Offiziere. Handke verhöhnte dies nur. Irgendwie sei es [wie] vorher, die Geschichte liefe immer in derselben Weise ab. Im übrigen interessiere ihn nicht das, was im Iran geschehe, sondern er lese vielmehr die Geschichte Mohammeds, das sei interessant. […] Am Abend sahen wir den Film ›Die Giganten‹ im Fernsehen. Morgens beim Frühstück [am 19. Februar] sagte Peter Handke, er habe schlecht geschlafen, aber er wolle nun doch auf den Titel ›Das Gesetz‹ zurückkommen. Im Grunde genommen stimme dieser Titel für ihn. Ich meinte auch, daß das Buch diesen Anspruch aushielte, auch den Vergleich mit Kafkas Parabel ›Vor dem Gesetz‹. Er war noch ein paar Stunden im Verlag, sprach mit den Mitarbeitern. Dann noch einmal eine kurze Unterhaltung. Das Manuskript knüpfe an die ›Stunde der wahren Empfindung‹ an. In Sorger sei eine große spirituelle Kraft. In der ›Stunde‹ sei die Sinnlosigkeit da gewesen, jetzt, im neuen Manuskript, Sinnsuche und Heil. Er schenkt mir ein Notizbuch um ›Raumverbot‹ mit farbigen Zeichnungen. Und dann gibt er mir einen handschriftlichen Text, den er im Hotel Bristol in Wien am 10. Februar geschrieben hat. Ein bedeutendes Wort-Schreib-Bekenntnis. Als letzte Zeile steht: ›Gebet‹.« Der Text lautet: »Neue Wörter! Mit neuen Wörtern aufwachen. Ohne wunde Brust. Die Angst vor der Endgültigkeit. Mit Wörtern wäre ich nicht mehr allein. Ich bin noch immer nicht ernst genug. Immer noch stellen sich Wortspiele ein. (›Ich möchte natürlich sterben.‹) Ich in der Radierspur. Ist das Elend jetzt an mir? Alle Gegenstände haben andere gemacht. Wer macht mich wieder wirklich? War ich es je? Wort für Wort weiterleben. Ich schreibe an Dich, Geliebte. Die Nacht und ich: eines wärmt in Gedanken das andere. Ich bitte für meine Seele. Mich durchwachen. Jetzt ist mein Weltkrieg – und vor wem kann ich mutig sein? Die Fensterscheiben schüttern wie Reiskörner. Ich möchte die Seele in meiner Sicherheit haben. Tag für Tag werde ich mich nachziehen müssen. Nie werde ich ein Sänger sein. Wenn jetzt jemand einträte, würde ich gut über die Schulter schauen? Mich im Körper in meinem Geviert fühlen. Die Seele ist ein schrecklich verlassener Balg. Kein Satz darf den nächsten geben. Im Kreis welcher Familie? Ich bin der Nackte. Die Seele ist ein armes Häufchen. Wird sie mich jemals wieder beflügeln? Sie sollte ein Hauch von innen
361 nach außen sein, ungegenständlich: Jetzt ist sie zu einem Gegenstand erkrankt. Nie mehr möchte ich so in mich hineinschauen. Ich will keine besonderen Tage mehr. Nehmt mich entgegen. Ich will Ähnliches versuchen. Aber wen spreche ich eigentlich an? Ich werde jetzt aufstehen und aus dem Zimmer gehen.« 
Trotz des nicht-definitiven Titels diktierte S. U. am 19. Februar 1979 eine Notiz für die Herstellungsabteilung: »Gespräch mit Peter Handke, 19. 2. 1979: Sein neues Buch ›Das Raumverbot‹ wird im 2. Halbjahr 1979 erscheinen. Einband: Leinen. Weißer Umschlag. Typographie des Bandes wie ›Die Stunde der wahren Empfindung‹. Für den Umschlag soll auch die Schreibmaschinenschrift der ›Stunde der wahren Empfindung‹ verwandt werden.«
2
P. H. fuhr mit seiner Tochter am 10. März von Paris in die Niederlande (Rotterdam, Den Haag und Amsterdam), am 12. März weiter nach Köln, war am 13. März in Berlin. Ob es dabei zu einem Gespräch mit Elisabeth Borchers kam, ist nicht ermittelt. Vermutlich kam es erst Anfang Mai zu einem gemeinsamen Lektorat (siehe Brief 286, Anm.  2).
    [284; Anschrift: c/o Dr. Greinert, 51, Madeleine Michelis, Neuilly]
    Frankfurt am Main
    2. März 1979
    Lieber Peter,
    hier also drei Fassungen für den Umschlag. Einmal ohne die Zeile »Eine Erzählung«,

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