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Der Briefwechsel

Der Briefwechsel

Titel: Der Briefwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Peter-Unseld Handke
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Ich werde auch alles tun, um am 1. September in Paris zu sein.
    Ich wollte mit S. 1 für 8-10 Tage vorher nach Schottland (obwohl es im und beim Haus auch schottisch leer und weit ist).
    Ist der »Versuch über die Jukebox« nicht ein Meisterwerk (aus dem Hinterwald jenseits der Geschichte)? Na ja, nun denn. Jedenfalls hast Du dazu einen Prachtsänftentext geschrieben, lieber Siegfried. 2
    Und ich hause, seit etwa 9. November 1987 erstmals wieder, und staune. Aber habe ich nicht dazwischen auch gehaust, im Gehen und Schreiben? (weniger, ja, im Lesen, das jetzt endlich mit Macht wieder einsetzt, Großer Ozean – das schreibe ich zittrig im Freien, außerhalb des Hausschattens, auf dem Schoß als Unterlage die originalen Evangelien, gleich kommen die heutigen Zeilen dran, das Gras hat schon Wasser bekommen).
    Sei(d) gegrüßt
    von Deinem
    und Eurem
    sich mit freuenden
    Peter
    1
Sophie Semin
2
Der Vorschautext von S. U. für den Versuch über die Jukebox lautet:
Die Bücher von Peter Handke haben keinen traditionellen »Schluß«. Sie sind nicht auszulesen. Sie enden auf eigene Weise, indem sie ausklingen und den Leser zu neuen poetischen Streif
564 zügen einladen. Handkes »Versuch über die Müdigkeit« endet am Rande eines Boulevards einer andalusischen Stadt mit »einer Jukebox in Reichweite«; in ganz Spanien gäbe es doch keine Jukebox, doch, eine seltsame hier in Linares. »Erzähl. Nein. Ein andermal, in einem Versuch über die Jukebox. Vielleicht.« Dies schrieb Handke im März 1989. Noch im Dezember desselben Jahres formulierte er den ersten Satz einer neuen Erzählung: »In der Absicht, endlich den Anfang zu einem langgeplanten Versuch über die Jukebox zu machen, kaufte er am Busbahnhof von Burgos eine Fahrkarte nach Soria.« (7) Soria, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz am oberen Duero im Osten Altkastiliens und an der Grenze der ehemaligen Königreiche Kastilien, Navarra und Aragonien gelegen, ist im Dezember der stillste und verschwiegenste Ort der Halbinsel; Antonio Machado, der wehmütige Sänger Kastiliens, hat dort gelebt, bevor er 1936 auf dem Wege ins Exil starb. Im vorangegangenen Werk erzählte ein Ich die »allerletzten Augenblicke … in kosmischer Müdigkeit«, nun nimmt das epische Er den ›Versuch über die Jukebox‹ auf, zweifelnd, da es sich wohl um etwas Nebensächliches oder Beiläufiges handeln könnte, weil alle Bekannten immer nur die Köpfe geschüttelt hatten und erst beim Wort Musikbox verstanden, was gemeint war. Doch grade dieses Unverständnis reizte ihn, sich auf den Gegenstand, auf den Vor-Wurf einzulassen. Er hatte sich vorbereitet und mit dem Vorsatz des Vergessens die einschlägigen Werke gelesen, so den »Complete Identification Guide to the Wurlitzer Jukeboxes« und aus ihm auch die Herkunft des Wortes Jukebox gelernt; »juke« stamme wohl von »to jook«, tanzen, es sei afrikanischen Ursprungs. Schwarze Arbeiter auf den Jutefeldern hätten sich an »juke points« für billiges Geld jene Musik aus Automaten angehört und dazu getanzt, die sonst nicht gespielt wird. Jetzt war seine Aufgabe, Soria zu erkunden, um die Sache des Schreibens zu gewinnen. Zu Ende ging das Jahr 1989, »da in Europa von Tag zu Tag und Land zu Land so vieles, und so wunderbar leicht, anders zu werden schien«; es kam einem vor, als seien »Wunschträume der geknechteten und getrennten Völker des Kontinents über Nacht Tatsachen geworden« (25). Dieses Jahr sei auch für ihn »das Jahr der Geschichte« geworden und konnte er sich in einer Zeit, als »das große Märchen der Welt« sich selber forterzählte, an einem weltfremden Gegenstand versuchen? War seine Aufgabe nicht ein weltumspannendes Epos? Zeigten ihm seine
565 Träume sein Gesetz als Bild, Bilder von Krieg und Frieden, Himmel und Erde, Westen und Osten, Unterdrückung und Versöhnung? (28) Sein Gegenstand aber blieb ihm, er stellte sich sogleich das, was ihm zu sagen war, als Buch vor, wenn auch ein »kleinwinziges«. »War in seiner Vorstellung das Ding Buch doch bestimmt für den Widerschein, Satz um Satz, des natürlichen Lichts, der Sonne …« (33). Doch bevor er zu schreiben begann, mußte er sich mit dem »Fast Nichts« der weltverlassenen Stadt Soria einlassen, ihren Gassen, Kinos, dem Fluß Duero, der Sandsteinfassade der Kirche Santo Domingo, der fremden Sprache, die er von Wort zu Wort erlernte, so auch als eines der ersten ecuanimidad, das spanische Wort für Gleichmut. In den Bars setzte er seine Suche nach

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