Der Briefwechsel
ist); dazu noch, was ich Ihnen schon gesagt habe, ein realistisches Bild vorn drauf, möglichst eine leicht verfremdete Fotografie. Am liebsten wäre mir nicht ein direktes Schreckenbild (etwa nicht die aufgerissenen Augen oder die Axt im Schädel), sondern ein »Nebenbild« des Schreckens (zur Phantasieanregung): ein Spritzfleck auf einem Gehsteig, ein Zigarettenstummel mit irgendwelchen dunklen Spuren, eine Tür, unter der eine Flüssigkeit hervorkommt. Ich schicke Ihnen einige Fotos, die ich aus einem Buch herausgeschnitten habe: sie sind noch nicht das rechte, aber sie sollen dem Gestalter eine Ahnung geben. Jedenfalls keine Zeichnung, sondern ein Foto , 2 ein bedrohliches! Und dann noch eine Bitte, die aber mit meinem Text zusammenhängt: der Schriftgrad sollte möglichst größer sein als in den »Hornissen«, damit jeder Satz wie ein »Schlag« wirkt. Jeder Satz soll als einzelner Satz erkennbar sein, nicht als ein Satz in einer Folge von Sätzen. Jeder Satz soll für sich allein lesbar sein, so daß der Leser nach jedem Satz stocken kann. (Das sollte er auch.) Das würde auch das Lesen erleichtern, denn der Text verlangt eine Änderung der Lesegewohnheiten, und der Versuch des Lesers, den Roman »wie einen Roman« zu lesen, würde sofort auf Widerstand stoßen lassen und den Leser ermüden und frustrieren. Deswegen ist ein klarer Satz, der jeden Satz zu Recht kommen läßt, diesmal sehr wichtig. Man sollte das Buch (auch) mit Vergnügen lesen können (wenn auch nicht verschlingen!!).
Sind das schlimme Bitten? Bedenken Sie bitte, lieber Herr Unseld, daß mir doch sehr daran liegt. Ich glaube übrigens, daß das Buch auf diese Weise sehr schön würde, auch reizend (zumindest zum Kaufen). Die großen Lettern würden auch zu dem hohen, schmalen Format passen.
64 Der Brief geht leider noch etwas weiter.
Im Klappentext müßte irgendwie herauskommen, daß es in dem Buch keine Geschichte gibt, keine Fiktion. Das Buch ist ein »Bewußtseinsroman«. Es geht nicht mehr um die alte fabulierende Phantasie, sondern um die Phantasie, die sich innerhalb der Sprache bewegt, eine sprachliche Phantasie. Eine Geschichte besteht höchstens in der Anordnung der Sätze: die Alogik ist der alogische Ablauf des Schreckens. Der Roman ist die Geschichte eines Schreckens, eines Erschreckens, der Angst, der Verfolgung, der Beklemmung, der Langeweile, der Folterung, des Sterbens. Keinesfalls ist er eine Abrechnung mit dem Kriminalroman oder eine Parodie!! Er benützt nur die Klischees des Krimis als Vehikel, das die Sätze zusammenhält und die Pseudoeinheit, das Abgerundete eines klassischen Romans vortäuscht. Er ist der Versuch, von einer reproduzierten, reproduzierbaren Literatur, von den Klischees aus wieder die Wirklichkeit (meine, des Lesers) zu entdecken.
Bitte, lassen Sie auch nicht die Äußerungen, die ich im Brief an Dr. Bezzel gemacht habe, außer acht (für den Klappentext): sprachlicher Realismus oder so etwas. Es darf nur nicht die Auffassung aufkommen, der Roman sei ein Spaß. Das ist er ganz und gar nicht. Komisch ist er nur, wenn es sich eben durch die Form ergibt, jedenfalls nicht von vornherein gewollt.
Ein ganz schön langer Brief. Es tut mir leid. Hoffentlich hat er nicht die neuen Kräfte aus Ihrem Urlaub aufgezehrt. (Au, jetzt fällt mir noch was ein, für die Reklame oder auch nicht) das Buch hat keine Geschichte (eine er fundene), weil eine Fiktion den Leser von seiner eigenen Geschichte zunächst nur ablenkt (während ihn dann eine gute Geschichte doch wieder auf sich selber zurückkommen läßt, aber erst dann): das Buch hat die Geschichte des Lesers: wenn dieser keine Geschichte hat, wenn er also nicht sensi
65 bel und aufmerksam genug ist (in bezug auf sich selbst und auf seine Umwelt), wird er dem Buch auch nichts entnehmen können. So. Wenn das Buch äußerlich so wird, wie ich es mir vorstelle, freue ich mich fast schon darauf.
Im übrigen weise ich Sie auf den jungen österreichischen Autor hin, von dem ich gesprochen habe. Dr. Bezzel hat eine Zeitschrift, in der etwa 40 Seiten seines entstehenden Romans »Unter Schweinen« abgedruckt sind. Ich bin von dem Text sehr, sehr beeindruckt, die Texte erinnern mich in vielem an den jungen Kafka, auch an Robert Walser. 3 Der Autor heißt Klaus Hoffer, ist so alt wie ich und ist in Graz unter der Anschrift der Zeitschrift »manuskripte« zu erreichen.
Herzliche Grüße (auch an Ihre Frau)
und vielen Dank
Ihr
Peter Handke
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Der Brief trägt den
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