Der Briefwechsel
Roman erzählt keine erfundene Geschichte, sondern braucht die Geschichte des Lesers. Oder: Schrecken wird nicht mehr beschrieben, sondern zeigt sich in der alogischen Struktur der Sätze. Oder: Jeder Satz ist eine Geschichte. Ein flüssiges Lesen ist unmöglich, unmöglich gemacht. Der Leser sollte nach jedem Satz stocken. Der Leser sollte nach jedem Satz stocken.
Herzlich
Ihr
Peter Handke
1
Bei Michelangelo Antonionis Film Blow Up aus dem Jahr 1966 entdeckt ein Fotograf beim »Blowup« (Entwickeln und Vergrößern) auf zufällig gemachten Bildern von einem Liebespaar im Park eine Figur im Hintergrund mit einer Pistole in der Hand und eine im Gebüsch liegende Leiche.
2
P. H. schrieb Urs Widmer, dem Nachfolger von Chris Bezzel, am 17. Mai 1967: »[…] Ihr Klappentext, nehmen Sie es mir nicht übel, kommt mir etwas beliebig vor. Das Klappentextschreiben ist wohl eine der scheußlichsten Beschäftigungen, das gebe ich zu. Trotz
72 dem würde ich mir von Ihnen noch zwei oder drei informative Sätze wünschen. Herr Unseld hat eine ganze Sammlung von Erklärungen, die ich mühsam gegeben habe (für den Klappentext). Davon müßte doch der eine oder andere Satz anwendbar sein.«
[49; Anschrift: ]
Frankfurt am Main
18. Mai 1967
Lieber Herr Handke,
schönsten Dank für Ihren Brief vom 17. Mai. Irgendwie ist der Fleckhaus-Umschlag in sich perfekt. Seine Perfektion geht sogar soweit, daß ich mich wirklich einmal fragte, ob er doch nicht in Betracht gezogen werden könnte. Aber ich gebe Ihnen recht, wir werden ihn also nicht nehmen, das heißt, wir werden beim endgültigen Druck für ein anderes Ornament sorgen.
Weit weniger bin ich mit Ihnen einverstanden, was Sie über den Klappentext schreiben. Die Funktion eines Klappentextes ist ja die eines Apéritifs, er soll ebenso sehr genießende wie anregende Funktion erfüllen. Keinesfalls aber dürfen Vorschriften für den Leser enthalten sein. Man kann Anregungen geben oder Lesehilfen, aber man darf keine Vorschriften machen und, das wichtigste, nicht den Versuch einer allzu strengen Eigeninterpretation, die keine anderen Deutungen zuläßt. Bei dem Ihnen bekannten Text lassen wir im dritten Abschnitt die zweite Hälfte weg und nehmen dann noch ein, zwei Sätze auf, die mehr theoretischen Charakter haben. Sie bekommen das Ganze noch zugesandt. Werden Sie der Sache nicht müde, wir werden es auch nicht, und die Versuche zielen ja doch darauf, Ihrem Buch die bestmögliche Wirkung zu sichern.
Herzliche Grüße
Ihr
[Siegfried Unseld]
73 [50]
[Düsseldorf-Unterrath]
23. Mai 1967
Lieber Herr Unseld,
ich glaube nicht, daß man eine gewisse Konkretisierung und Genauigkeit mit einem Vorschriftenmachen verwechseln sollte. Ein Apéritif bleibt trotzdem ein A., das gestehe ich Ihnen zu. Inzwischen aber hat mich Herr Widmer schon angerufen, und die Sache ist wohl in Ordnung, worüber ich erleichtert bin.
Zum Vertrag über den Roman habe ich noch eine Frage (Anfrage): Frau Ritzerfeld hat mir auf eine erste Anfrage mitgeteilt, die Erhöhung des Autorenhonorars von 10 auf 12 % trete nicht nach der ersten Auflage, sondern nach dem 20. Tausend ein, wobei die erste Auflage weniger als 20. sein soll. Ich verlange keineswegs einen besonders günstigen Vertrag, sondern meinetwegen einen üblichen. Ist dieser Punkt üblich?
Ich stimme auch mit Herrn Fleckhaus überein, daß sich die Umschläge ändern werden, mag auch sein, daß sein Umschlag in sich stimmig ist, aber jedenfalls ist er nicht stimmig für mein Buch. Aber ich bedanke mich, daß auch Ihnen das klar ist.
Und noch einen Dank: für das Thomas-Bernhard-Buch: ich habe es fast in einem Anlauf durchgelesen, war stellenweise ziemlich wütend, ärgerlich, aber schließlich doch fast »erschlagen«. Das ist doch ein großartiges Buch. 1
Herzlich
Ihr
Peter Handke
1
Thomas Bernhard, Verstörung. Roman , erschien am 15. März 1967 im Insel Verlag. P. H. rezensierte das Buch unter dem Titel Als ich
74 »Verstörung« von Thomas Bernhard las (Erstdruck in: manuskripte , Heft 21, 1967, S. 14f.); wiederabgedruckt in: P. H., Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms , S. 211-216.
[51; Anschrift: ]
Frankfurt am Main
24. Mai 1967
Lieber Herr Handke,
schönsten Dank für Ihren Brief vom 23. Mai. Ich glaube, wir haben jetzt einen ganz vorzüglichen Klappentext. 1 Sobald Fleckhaus wieder im Lande ist, wird er einen neuen Umschlag entwerfen. Mit dem jetzigen gehen die
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