Der Briefwechsel
machen. Bitte reservieren Sie sich für Rom etwa die Tage vom 27. Oktober bis 3. November. Frau Feltrinelli hat Sie bereits in ihre Gästewohnung eingeladen. So gut möchte man's haben.
Herzliche Grüße
Ihr
[Siegfried Unseld]
[58]
[Düsseldorf-Unterrath]
18. Juli 1967
Lieber Herr Unseld,
ja, ich würde mich auf Rom freuen, vor allem, weil ich noch nie in Rom war.
Es ist leider so schwierig, auf »Befehl« oder Frage etwas Zitierbares zu schreiben, ich wollte damals über die »sammlung insel«, war aber sprachunfähig. Inzwischen habe ich auch nur Büchners Enzensberger (hätte ich fast gesagt) angelesen | »Hess. Landbote« |, und das Nachwort Enzensbergers hat mir nicht so sehr gefallen. 1 Über Věra Linhartovás erstes Suhrkampbuch habe ich noch in Graz eine zwar nicht sehr gut geschriebene, aber doch gut meinende Rezension geschrieben, aus der man doch einige Sätze verwenden könnte, auch für das noch viel bessere zweite »Diskurs über den Lift«. 2 Mich fasziniert an dieser Schriftstellerin eine
79 beharrliche (sehen Sie, ich komme schon ins Vertippen 3 ), nicht nachdenkliche, sondern scharf nachdenkende Weitschweifigkeit, die die erzählte Geschichte als Geschichte unwichtig macht, sie nur als Ausgang zum Nachdenken nimmt, und zwar zu einem sehr spannenden Nachdenken, das man höchstens von Musil oder Kafka kennt, auch vielleicht Robert Walser: über Alltäglichkeiten wird so viel reflektiert, bis die Alltäglichkeit sich ganz aufgelöst hat, aufgeweicht ist, wegschwimmt: übrig bleibt das Muster des Nachdenkens, das nicht, wie es heißt, nachdenklich, sondern nachdenken macht. Für mich ist das die unheimlichste, klarste, vernünftigste Prosa seit langem gewesen. – Morgen fahre ich übrigens weg. 4 Ich brauche jetzt ein bißchen aufatmen. Wir werden in Südfrankreich, vielleicht auch in Spanien sein. Ende August ziehen wir hier auch um, in eine größere Wohnung.
Ihnen alles Gute, auch Ihrer Frau
Ihr
Peter Handke
| Erinnern Sie sich noch an jene schwarzhaarige Griechin zur Zeit der Experimenta heuer? 5 Sie wollte Sie aufsuchen, war aber zu schüchtern oder zu stolz. Sie könnte vielleicht über die Situation in Griechenland im »Kursbuch« etwas machen oder verbotene Dichter übersetzen. Ihr Name ist: Lila Maraka, sie wohnt in Berlin, Kaiserdamm 3 a. Ich kenne sie nicht näher. | 6
1
Georg Büchner, Ludwig Weidig, Der hessische Landbote. Briefe, Prozeßakten , kommentiert von Hans Magnus Enzensberger, erschien 1965 als Band 3 der sammlung insel .
2
Věra Linhartová, Geschichten ohne Zusammenhang , erschien als erstes Buch der Autorin in der Übersetzung von Josefine Spitzer 1965 als Band 141 der edition suhrkamp ; Diskurs über den Lift , in
80 der Übersetzung von Josefine Spitzer 1967 als Band 200 der edition suhrkamp .
P. H. verfaßte für die im Österreichischen Rundfunk, Landesstudio Steiermark, am 4. April 1966 ausgestrahlte Sendung Bücherecke eine Besprechung neuer Bücher von Věra Linhartová und Bohumil Hrabal. »Rein äußerlich gesprochen, erstaunt schon die Frische dieser tschechischen Prosa, die, jedenfalls bei Věra Linhartová, vereint ist mit einer außerordentlich klaren Reflexion. Dies erstaunt umso mehr, wenn man weiß, daß Věra Linhartová ihre ›Geschichten ohne Zusammenhang‹ im Alter von neunzehn bis zweiundzwanzig Jahren geschrieben hat. In der Form sind sie freilich äußerst traditionell, was aber unbedeutsam ist, solange die Gedanken neuartig erscheinen; äußere Ähnlichkeiten etwa mit Franz Kafka, E. T. A. Hoffmann oder gar der dänischen Erzählerin Tania Blixen wären ohne Schwierigkeiten festzustellen, ohne daß freilich dadurch etwas gewonnen ist. Die Autorin gebraucht manchmal alte Formen sogar bewußt ironisch, etwa, wenn sie sich in der Erzählung mit dem Verfasserplural als ›wir‹ bezeichnet, oder wenn sie sich zwischendurch an den Leser wendet und ihn für ihre Saumseligkeit im Erzählen um Verständnis bittet. Saumseligkeit: dieses Wort ist hier durchaus kein Vorwurf; ja die Eigenart der Geschichten Věra Linhartová besteht sogar darin, daß das Ende der Geschichte eben durch die reflektierende und abschweifende Saumseligkeit der Erzählerin recht lange zurückgehalten wird: das alte retardierende Moment der Reflexion. Die Wirklichkeit wird durch die Sprache unsicher gemacht, Unmögliches und Unwahrscheinliches scheint plötzlich möglich, allein durch die Stilistik, in der es behandelt wird. […]«
3
Vor dem Wort
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