Der Briefwechsel
Literatur oder ästhetische Methode ist, weit über das übliche Layout hinaus. Aufmachung und Inhalt dürften nicht mehr zu trennen sein!!
Ich nenne noch konkret Personen, mit denen ich mir eine Zusammenarbeit denken könnte:
Ernst Wendt (früher »Theater heute« und »film«, jetzt Dramaturg), Urs Jenny, Herbert Linder (von der Zeitschrift »filmkritik« und »Süddeutsche Zeitung«), Siegfried Schober (ebenso), Uwe Nettelbeck (»Zeit«), Botho Strauß (»Theater heute«), dann noch zwei Österreicher, die aber trotzdem … Diese Leute zu interessieren, würde was einbringen, meine ich. Sie sollten schreiben, fotografieren, kompilieren, notieren … jedenfalls keine üblichen Aufsätze verfassen.
Abschreckendes Beispiel mit abschreckendem Layout: »Der Monat«. Positives Beispiel: bis jetzt keins, also die Zeitschrift selber.
Titelvorschläge: »Medium« (Becker), ist nicht so schlecht. Mir fällt nichts ein, »methode(n)«, »materialien«, »material«, »l'art pour l'art«, »Elfenbeinturm« (es wird immer blöder), »innovation«, »ablenkung(en)«, … »vorworte«, »vorwort« …
Heute fällt mir nicht mehr zu der Zeitschrift ein. Vielleicht entwickelt sich bald etwas weiter.
Zu dem »Fall« Braun möchte ich noch sagen, daß Du wohl gemerkt hast, daß ich mit Deiner Meinung darin nicht übereinstimme. Überdies erscheint mir der Begriff der »Loyalität« so sehr ein autoritärer, aus dem »Nibelungenlied« stammender, daß ich es niemandem verdenken kann, wenn er ihn endlich mißachtet. Es gibt menschenunwürdigere Haltungen als Illoyalität, und im konkreten Fall er
105 scheint mir jedenfalls die sogenannte Illoyalität das menschenwürdigere zu sein. Zu meinen, Braun habe das Interview in »Christ und Welt« nur zum Anlaß genommen für ein schon immer geplantes Vorhaben, halte ich für einen von der Problematik ablenkenden Trugschluß. Auch wenn es nicht namentlich um Braun geht in dem Interview – ist es denn nur dann in Ordnung, sich zu empören, wenn man selber betroffen ist von einer unhaltbaren Haltung? Jedenfalls ist es schade, daß Du Dich nur als gekränkter, im Stich gelassener Machthaber sehen kannst. Das wollte ich trotz allem einmal ausdrücken. 1
Herzlich | und mit der Bitte um Verständnis |
Dein
Peter Handke
1
Karlheinz Braun, der Leiter des Suhrkamp Theaterverlags, kündigte unmittelbar nach der Veröffentlichung des Artikels von Ruth Tilliger, Dr. Unselds Kunst, Bomben zu entschärfen , in: Christ und Welt , 10. Januar 1969. Er begründete diese Entscheidung mit den im Artikel referierten negativen Urteilen von S. U. über den »Aufstand der Lektoren« im Oktober/November 1968 und die daraus resultierenden (Nicht-)Veränderungen. In den Augen von Karlheinz Braun gerierte sich S. U. in diesem Interview als »Sieger«, der jede Änderung im Verlag verhindert habe. (Die unterschiedlichen Sichtweisen der Ereignisse finden sich in S. U., Chronik 1970 , S. 16-96, sowie Karlheinz Braun, Wie das, was die Autoren schreiben, Folgen hat , in: Chronik der Lektoren , S. 57-76.) Braun zählte zu den Initiatoren des am 1. April 1969 in Frankfurt am Main begründeten Verlags der Autoren, der zunächst ein reiner Theaterverlag war.
106 [77; Anschrift: Berlin]
Frankfurt am Main
24. Januar 1969
Lieber Peter,
schönen Dank für Dein Gedächtnisprotokoll, das sich in schöner Weise deckt mit meinen Erinnerungen. Ich schicke eine Kopie Deines Protokolls an Becker und Bichsel weiter. Ich meine, daß Du durchaus schon die erwähnten Leute aus dem Filmkreis einmal anschreiben solltest, um zu hören, welche Anregungen aus dieser Ecke kommen.
Deine Haltung zu Braun verstehe ich durchaus. Ich weiß nicht, ob der Begriff der Loyalität allzu sehr mit dem Autoritativen in Zusammenhang gebracht werden kann. Du mußt das so sehen: für mich ist der Verlag, um einen Ausdruck von Ho Tschi Minh zu gebrauchen, die große Sache. Ihr ordne ich alles unter, was mein persönliches Dasein und meine persönliche Arbeit betrifft. Ich muß sehen, daß diese große Sache weiterläuft auch über meine Person hinaus. Stell Dir bitte vor, welche Verpflichtungen ich eingegangen bin gegenüber Autoren, Übersetzern, Herausgebern und deren Erben. Das sind Dinge, die Dich im Moment wenig betreffen. Du bist jung, Du stehst mitten in einer herrlichen Produktivität, was kümmern Dich die Probleme einer Firma. Aber ich kann mir diese Haltung nicht leisten und muß Mitarbeiter haben, die doch auch neben
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