Der Briefwechsel
Peter,
für Zürich ist alles okay. Wir treffen uns um 15.00 Uhr im Hotel Urban, Stadelhoferstrasse 41. Leider muß Bichsel um 18.30 Uhr wieder wegfahren, aber bis dahin können wir ja schon vieles besprochen haben. Um 19.30 Uhr stößt dann Frisch zu uns und etwas später Martin Walser. 1
Für Dich sind die besten Flugmöglichkeiten:
ab Berlin
9.05 h
an Frankf.
10.20 h
ab Frankf.
11.00 h
an Zürich
11.45 h
Im Hotel Urban ist ein Zimmer für Dich reserviert. Ich freue mich sehr.
Schöne Grüße,
auch für Libgart,
Dein
[Siegfried Unseld]
1
Bereits vor dem Beschluß, das Kursbuch nicht weiter im Suhrkamp Verlag zu publizieren (der Herausgeber Hans Magnus Enzensberger und S. U. erzielten im Januar 1970 eine Verständigung, der zufolge nach Nummer 20 die 1965 begründete Zeitschrift in einem eigenen, unabhängigen Verlag erschien), führte S. U. Gespräche mit Autoren über eine neue Zeitschrift. Am ersten Treffen zu konzeptuellen Vorüberlegungen nahmen neben P. H. und S. U. Jürgen Becker und die erwähnten Autoren teil.
102 [76]
Berlin
20. Januar 1969
Lieber Siegfried,
von dem Gespräch in Zürich habe ich den Eindruck, daß das Projekt der Zeitschrift, vorsichtig ausgedrückt, nicht ohne Reiz sein könnte.
Ich möchte hier kein Gedächtnisprotokoll machen. Deswegen bitte ich, Auslassungen zu entschuldigen.
Wie die Zeitschrift nicht sein sollte, darüber herrscht Einigkeit.
Wie sie sein könnte :
Dazu gab es einige Vorschläge:
1. ist die Effektivität von Literatur (oder überhaupt von ästhetischen Methoden) in der Gesellschaft exakt nachweisbar? Mit empirischen Methoden? Oder ist die Frage als solche nicht unsinnig? | (Beispiel Godard) |
2. Die Probleme und der Trend der nichtveröffentlichten Literatur.
3. Die Geschichtlichkeit jeder Methode des Sich-Ausdrückens: das Nachforschen nach der Geschichte von Sätzen, Linien, Bildeinstellungen von Filmen; inwieweit bestimmt die Struktur eines Satzes schon von vornherein den Sinn dieses Satzes? Oder ist diese Frage als solche unsinnig? Der Bedeutungswandel von formalen Strukturen.
4. Inwieweit sind auch schon Bilder, Fotos, Filmeinstellungen semantisch, symbolisch geworden und ersetzen die geschriebene Sprache der (alten) Literatur? Oder ist diese Frage schon unsinnig? Inwieweit haben Bilder und Einstellungen schon den Stellenwert von Sätzen, das heißt, Aussagen? Das Problem der Legenden zu Bildern.
5. Eine subjektivistische Theorie, keine übliche Rezension
103 mehr, überhaupt keine Rezension mehr, vielmehr Literatur und Film als Reiz, von seinen eigenen Erfahrungen zu schreiben. Eine Theorie, die zugleich die Praxis zeigt, und auch Praxis ist.
Das Schreiben über etwas ist selber Schreiben, Literatur, und berücksichtigt mit jedem Satz dessen eigene Geschichte. Ebenso könnte das Berichten über Film selber eine Art Film sein, oder ein Fotoroman, eine Fotogeschichte, oder einfach eine gezielte Reproduktion von Bildern aus dem Film, die Einstellungen deutlich machen. Dasselbe Verfahren mit Literatur.
6. eine sich wiederholende Montage von Sätzen, Schlagzeilen, die durch Reihung etc. Bewußtseinshaltungen zeigen, sowohl der Gebraucher der Sätze als auch des Montierers der Sätze (Becker?)
7. an rein praktischer Literatur nur »formale Utopien« verwenden, die als Beispiele wirken für die Theorie, die die Theorien jeweils wieder umstoßen können und neue Theorien herausfordern (Fotoromane? Kreuzworträtsel? – jedenfalls Texte mit solchen Anfangsreizen, die die Unlustschwelle für Literatur erst einmal beseitigen: optische Reize?).
Diesen »Literaturteil« nicht separieren, sondern ihn gezielt unter die anderen Beiträge platzieren, so daß man faktisch in ihn hineintappst und plötzlich schon beim Lesen oder Schauen ist, wenn man noch immer glaubt, durchzublättern! (Bichsel: auf dem Abort lesen können). Die Aufmachung wäre keine Aufmachung, sondern gehörte zum Inhalt der Zeitschrift, wäre selber Literatur, oder Ästhetik. Deswegen würde ein üblicher Lay-outer nicht genügen. Die Anordnung der Arbeiten ist Ästhetik. Das Format: »handlich«, etwas über »Spiegel«-Größe: »manuskripte« als Vorbild? Nur vom äußeren Format her.
Ich sagte: zwei Gedichte auf zwei Seiten sind kaum lesbar vor Unlust. Aber: 1 Kreuzworträtsel auf einer Seite und
104 dann ein Gedicht auf der nächsten Seite, das macht das Gedicht wieder lesbar.
Das wichtigste für mich wäre, daß auch die Anordnung der Beiträge selbst
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