Der Briefwechsel
Stuttgart und ganz besonderen Dank für die Rücksendung der Korrektur. Wir werden sie sehr sorgfältig ausführen. Ich glaube, es werden nun keine weiteren Korrekturen mehr notwendig sein. Wir geben den Text dann in Druck.
Bitte hab Verständnis dafür, daß wir den Umschlag nicht mehr ändern können. Eine andere Schrift würde vielleicht nicht so gut zum Foto passen wie die jetzige, und außerdem haben wir hier keine Zeit mehr, denn wir wollen den Umschlag ja drucken. Der Klappentext an der einen Stelle
270 wird geändert, und zwar heißt es nicht mehr »daß seine Frau das Kind entführen läßt«, sondern »Das Kind wird entführt«.
Hermann Lenz hat mir nach Deinem Besuch geschrieben. Er ist sehr froh über die Publikation. Ich nehme an, daß ich ihn in der nächsten Woche in Frankfurt treffen werde.
Sobald mein Pariser Plan vorliegt, melde ich mich. 1
Herzliche Grüße
Dein
[Siegfried Unseld]
1
P. H. und S. U. trafen sich am 16. Januar 1975 in Paris anläßlich der Eröffnung der Deutschen Buchausstellung, bei der S. U. eine Rede hielt.
[219]
Paris
23. Januar 1975
Lieber Siegfried,
es stört mich doch, daß ich über »mein erstes Leseerlebnis« schreiben soll. Lieber, wenn überhaupt, würde ich darüber reden, statt etwas zu verfassen . Aber ich will versuchen, es wenigstens so zu erzählen, möglichst kurz, in einem Brief. – Ich war sieben Jahre alt, als ich »Durch das wilde Kurdistan« von K. May las. (Ich glaube, fast jeder könnte etwas Ähnliches berichten.) Ein seltsames Erlebnis hatte ich dann aber erst mit dem zweiten Buch, das ich ein paar Wochen später anging. Es war »Schloß Rodriganda« von demselben K. M., und das Erlebnis war der Unterschied zwischen beiden Büchern. »Durch das wilde Kurdistan« war nämlich in der Ich-Form erzählt: der Held in meinem ersten Buch war also ein »Ich«. Und in »Schloß Rodrigan
271 da« tauchte dieses »Ich« nicht mehr auf. Ich las Seite um Seite, begierig zuerst, dann enttäuscht, dann verärgert, weil das »Ich« noch immer nicht auftrat! Es war ein Gefühl des Mangels, dass die Helden von »Schloß Rodriganda« nur Leute in der dritten Person waren. Es ist mir in Erinnerung, dass ich noch in der Mitte des Buches darauf wartete, dass endlich das »Ich« erscheinen würde, als Retter aus der Not all der »Er«. Selbst am Schluss, am Moment der völligen Ausweglosigkeit, hoffte ich noch auf das »Ich« aus dem wilden Kurdistan. Dass es auch in den Fortsetzungsbüchern von »Schloß Rodriganda«: »Die Pyramide des Sonnengottes«, »Benito Juarez« usw. nicht einschritt, ist für mich ein Schock gewesen, in der Erinnerung also ein Erlebnis. Im »Kurzen Brief zum langen Abschied«, über zwanzig Jahre später, habe ich diesen Bewusstseins-Schwindel von damals benützt für die Form des Anfangs der Geschichte: das Wort »Ich« steht erst im fünften Satz der Erzählung.
Vielleicht kannst Du das benutzen. Ich hoffe übrigens, Du hast Deinen Schock, einen Tag lang nicht Deine gewohnten 600 Meter schwimmen zu können, auch überwunden und er ist ein Erlebnis für Dich geworden. Hier scheint im Moment die Sonne, die Vögel singen, und ich habe Lust zu etwas, ich weiß nur nicht zu was. Erwäg doch, ob es nicht möglich ist, dass »Die Stunde der wahren Empfindung« bei der doch nicht kleinen Auflage nur z. B. 19,80 kostet. Ich denke, das wäre sehr wichtig.
Viele Grüsse,
Dein Peter
272 [220; Anschrift: Paris]
Frankfurt am Main
31. Januar 1975
Lieber Peter,
schönen Dank für Deinen Brief vom 23. Januar. Das Ich-Problem Deines ersten Lese-Erlebnisses ist doch sehr kennzeichnend und treffend. Wir nehmen es gerne auf. Hab Dank für Deine Bemerkung. 1
Den von Dir so »fein« mit dem Ausfall des 600-Meter-Schwimmens beschriebenen Schock habe ich überwunden und daraus gelernt. Mein Unbewußtes war eben gekränkt, und als mir dieses Eichhörnchen entlief, konnte das Bewußtsein es nicht mehr bändigen …
Ich habe mir die Kalkulation Deines Buches noch einmal vorgenommen. Die Bindekosten, die bei einem Leinenband gravierend sind, werden durch die große Auflage nicht niedriger, aber das Buch soll DM 19,80 kosten, ich erfülle Deinen Wunsch.
Herzlich
Dein
[Siegfried Unseld]
1
Erste Lese-Erlebnisse , herausgegeben von Siegfried Unseld, erschien am 25. Juni 1975 als Band 250 der suhrkamp taschenbücher . Der Beitrag von P. H., identisch mit der Passage von Brief 219, die auf den Gedankenstrich (S. 270) folgt und bis zum Ende
Weitere Kostenlose Bücher