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Der Brombeerpirat

Der Brombeerpirat

Titel: Der Brombeerpirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Aufstehen zwingen konnten.
    Und dabei war heute ihr erster Urlaubstag, lange herbeigesehnt. Sie war sich eigentlich sicher gewesen, dass sie heute energiegeladen in den Morgen springen könnte: Frühstück auf dem Balkon, Rucksack packen, noch ein Nickerchen in der Sonne, und dann würde Ansgar mit dem Auto vorfahren, ihr Gepäck neben seinem verstauen und zum Flughafen fahren. Auf nach La Palma, mit Wanderstiefeln im Gepäck, 14.30 Uhr ab Bremen. Und dann nur Sonne, eine verwinkelte, friedliche, weißgetünchte Finca in den Bergen und zwei Wochen kein Wort wie Durch suchungsbefehl oder Obduktionsergebnis mehr in den Mund nehmen, stattdessen Rotwein auf der Zunge, direkt vom Erzeuger.
    Doch diese Frage, diese ohne Vorwarnung gestellte Frage, hatte alles zunichte gemacht.
    Wencke hatte keinen Appetit auf irgendetwas außer vielleicht auf Kaffee, und den Rucksack würde sie auch nicht aus dem Fahrradkeller heraufholen. Sollte er doch allein nach La Palma fliegen. Sie hatte sich einen abenteuerlichen Auf-eigene-Faust-Urlaub vorgestellt, doch Ansgar hatte daraus eine Prüfungssituation gemacht.
    »Wenn du mir heute noch keine klare Antwort geben kannst, dann lass es. Ist nicht schlimm. Verschieb es auf nach dem Urlaub. Wenn wir beide diese herrlichen zwei Wochen auf La Isla Bonita hinter uns haben, dann werde ich nochmal darauf zurückkommen. Okay, mein Schatz?«
    Nichts war okay. Gar nichts. Knapp tausend Euro und eine Menge Vorfreude zum Fenster hinausgeschmissen. Sie würde nicht mitkommen.
    Wencke vermisste ihren Kater, den sie gestern schon zu ihrem Kollegen Meint Britzke gebracht hatte. Der Getigerte spielte nun mit Meints kleiner Tochter auf dem gepflegten Rasen hinter dem Einfamilienhaus in Tannenhausen. Wenckes Füße, auf denen er sonst jeden Morgen weich und wohlig lag, waren kalt. Das Einzige, was sie heute tun würde, war, ihn wieder nach Hause zu holen. Als Schutz gegen die Einsamkeit und gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt.
    Sie wollte Ansgar doch nicht heiraten, davon war auch nie die Rede gewesen. Es war unfair von ihm, überhaupt daran zu denken.
    Wencke Barlickhaus – pah! Auch wenn man heutzutage den Nachnamen nicht mehr ändern musste, sobald man einen Ring am Finger hatte … Es drehte sich ihr der Magen um bei dem Gedanken, nicht mehr Wencke Tydmers zu sein. Und wenn er noch so schlagfertig war und sie bei Wortwitz immer schwach wurde, und auch wenn er in der Lage war, in ihrem Leben ein klein wenig aufzuräumen, ohne ihr die Gemütlichkeit zu nehmen, es hatte keinen Zweck. Schon allein sein Wunsch nach einem Trauschein ließ sein Ansehen bei ihr ins Bodenlose fallen. Es war zwar schade, aber es war nun mal so.
    Der Plastikpolizist made in Taiwan, der sie sonst jeden Morgen um halb sieben mit der Durchsage »Achtung, hier spricht die Polizei« weckte, hatte seit heute auch dienstfrei. Er tickte beharrlich vor sich hin und zeigte ihr, dass es bereits später Vormittag war. Gleich würde Ansgar unten hupen, mit gut gelauntem Strahlemanngesicht, das Gepäck auf der Rückbank verstaut. Wie sollte sie es ihm sagen? Vom Balkon herunterrufen: »Fahr allein. Ich komme nicht mit«? Oder einen Zettel an die Wohnungstür heften: »Mir ist was dazwischengekommen, sorry! W.«?
    Ihr ging es so schlecht, sogar an richtig fiesen, stressigen Tagen in der Mordkommission Aurich war es ihr nie so schlecht gegangen wie jetzt. Die Decke musste noch weiter über das rote Haar gezogen werden, vergiss mich, Welt, bitte vergiss mich nur für einen Tag und geh deinen Gang ohne mich …
    Fast hätte sie in ihrer sauerstoffarmen Höhle das Telefon überhört.
    Sie schnellte hoch, die kalten Füße fanden den Dielenboden nur mit Mühe, dann schwankte sie aus dem Schlafzimmer in den Flur, wo unter der Jeansja cke der Apparat ungeduldig weiterquengelte, wie ein kleines Kind, das nicht länger im Bett liegen wollte.
    »Ja?«
    »Wencke, hier ist Isa. Gott sei Dank bist du noch da, ich dachte, du wärest schon unterwegs.«
    »Nee, ich bin noch da. Was gibt’s denn so Wichtiges, Mama?«
    »Jasper hat doch heute Geburtstag, er wird vierzig …«
    »Habe ihm bereits gestern im Präsidium eine Glückwunschmail nach Norderney geschickt, heute komme ich sicher nicht dazu, ihn anzurufen.«
    Durfte man seine eigene Mutter belügen? Eine Notlüge, natürlich hatte Wencke den Geburtstag ihres Bruders vergessen. Dass sie auch immer so eine Unordnung in diesen Dingen an den Tag legte, die anderen Menschen so leicht von der Hand gingen.

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