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Der Brombeerpirat

Der Brombeerpirat

Titel: Der Brombeerpirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Ideen ausbrütete. Und natürlich Leefke.
    Die hatte damals ihrer Oma das Inhaliergerät ge bracht, noch bevor sie von einem Asthmaanfall ü berwältigt wurde. Denn Leefke hatte eine ganz feine Antenne für die Dinge, die zwischen all den gesagten Worten und vollbrachten Taten lagen. Leefke stand vor allen anderen und dadurch immer irgendwie im Abseits. Sie war so filigran, nicht nur ihr magerer Körper und das zerbrechliche Gesicht. Ihr Wesen bestand aus kleinen Windungen von undefinierbarer Intelligenz, niemand konnte ihr in das Labyrinth folgen, aus dem sie ihre Gedanken hervorholte. Und doch brachte sie dies alles so klar und schnörkellos zutage, dass Jasper mehr als einmal den Atem anhalten musste, weil er von ihrer Weisheit getroffen war.
    Der vierte Schuss holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
    Er musste hier raus, um Himmels willen, er musste hier raus.
    Sie wollen jemanden töten da draußen. Was, wenn es Leefke wäre? Oder Rika?
    Verdammt nochmal, er wünschte, er hätte diese Schüsse nicht gehört. Er riss das kleine, rostige Gitter vom Lüftungsschacht und schleuderte es in die Ecke, in der die kahle Liege stand. Schnell schob er sich den alten Plastikkanister an die Stelle unter der Öffnung und stieg mit seinen jämmerlich schwachen Beinen darauf. Es war nicht sein erster Versuch, auf diese Weise dem verdammten Kellerloch zu entfliehen, aber in diesem Moment packte ihn die nackte Verzweiflung und tilgte alles Wissen um die Sinnlosigkeit. Er hatte Hunger, und er war sterbensmüde. Mit lang ausgestreckten Armen versuchte er verzweifelt, irgendwo in diesem viel zu engen Quader aus Stein einen Halt zu finden. Die Fingerkuppen glitten hilflos am grauen Putz entlang, dann konnte er seinen Oberkörper ein winziges Stück der Freiheit entgegenstemmen. Doch die unnachgiebigen Mauern umklammerten seine Schultern und schnürten seine Brust zusammen, er steckte fest, es ging nicht weiter nach oben, sosehr er sich mit den Beinen vom wackeligen Untergrund abzustoßen versuchte, es war hoffnungslos.
    »Bitte, keine Panik jetzt, Jasper. Mach in Dreiteufelsnamen keinen Fehler«, stöhnte er leise und eindringlich, um sich selbst zu beruhigen, denn er merkte, dass ihm für einen kurzen Augenblick die Luft wegblieb. Mit dem rechten Fuß wagte er noch einen verzweifelten Versuch, er stieß sich ab, dann schwankte der Kanister unter seinen Sohlen.
    »Scheiße«, fluchte er, der linke Fuß wollte Halt finden, doch dann kippte der Sockel unter ihm weg, und er hing in der Luft. Fürchterlich langsam, Zentimeter für Zentimeter, rutschte er wieder in die Tiefe. Und dann ging alles sehr schnell. Seine Oberarme scheuerten schmerzhaft an den rauen Poren des Lüftungsschachtes, und er fiel hilflos zurück in sein Gefängnis.
    Dort blieb er sitzen.
    Er hatte helfen wollen, was immer dort draußen vor sich ging, er hatte helfen wollen. Doch er konnte nicht. Er war es, der Hilfe brauchte.
    »Hilfe, Hilfe«, versuchte er es noch einmal. Es klang kläglich, so kläglich und arm, dass er lachen musste. Doch nur ein oder zwei Sekunden blieben ihm zum Lachen. Dann übermannte ihn ein lautes, verzweifeltes Heulen.

18.
    »Der Schlüssel. Woher ist der Schlüssel, den wir in Leefkes Hosentasche gefunden haben?«
    Veit Konstantin zuckte die Schultern.
    Sanders holte das in Plastikfolie verpackte Beweisstück hervor. Es war ein alter, rostbrauner Schlüssel, viel länger als üblich, er sah irgendwie nach Lagerraum aus. Konstantin nahm den durchsichtigen Beutel entgegen, drehte ihn in den Händen und schüttelte abermals den Kopf. Er hatte für Sanders’ Geschmack heute Vormittag schon viel zu oft diese nutzlose Geste zum Besten gegeben.
    Sanders lehnte sich in seinem Stuhl zurück und strich die Falten seiner sandfarbenen Baumwollhose glatt. Er hatte sich gleich heute Morgen mit seiner Kreditkarte in die Fußgängerzone begeben. Der Ölfleck von gestern und das nach Sommerschweiß riechende Hemd hatten ihm keine andere Wahl gelassen. Viel Zeit zum Bummeln war ihm natürlich nicht vergönnt; normalerweise erledigte er den Einkauf seiner Garderobe mit viel Sorgfalt an seinen freien Wochenenden bei ausgewählten Herrenausstattern. Doch das Angebot in der Norderneyer Innenstadt hatte ihn positiv überrascht. So hatte er recht zügig zwischen den zahlreichen atmungsaktiven Freizeitjacken und Multifunktions-Bermudas eine solide Markenkombination zu einem wirklich reellen Preis erstanden. Er hatte bislang noch kein hellblaues Hemd mit kurzen

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