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Der Brombeerpirat

Der Brombeerpirat

Titel: Der Brombeerpirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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ziehe, dann redest du.«
    Pinki nickte.
    Die dünnen Holzstückchen zitterten in ihren unruhigen Händen. Wencke Tydmers ließ sie nicht aus den Augen. Vielleicht würde sie ihr ohnehin alles erzählen.
    Das abgebrannte Streichholz kippte schlaff zwischen ihren Fingern hin und her, als die Frau das andere herausgezogen hatte.
    Und dann begann Pinki zu reden, einfach so, ohne Punkt und Komma, ohne Wenn und Aber.
    Hinter dem Horizont wühlten sich riesige weiße Wolkentürme hervor, dahinter färbte sich der Himmel satt dunkelgrau. Urplötzlich schob eine Windböe über die Promenade und wirbelte Eispapiere, Sand und ihre Zigarettenkippen in die Höhe. Gleich würde es ein Gewitter geben.
    Sie erzählte alles. Fast alles.

24.
    »Jasper!«
    »Ist Wencke hier?«
    Rika warf sich ihm an den Hals und schluchzte in seinen verschwitzten Hemdkragen. »Wo bist du nur gewesen? Es ist alles so schrecklich! Ich bin fast verrückt geworden vor Angst!«
    Irgendetwas störte ihn an Rikas Umarmung, er war unfähig, es zu benennen, aber er schob sie langsam, doch kraftvoll von sich.
    »Mir geht es gut. Mal abgesehen davon, dass ich schrecklichen Hunger habe. Aber was ist hier passiert? Wo steckt Leefke und warum habt ihr mich nicht da rausgeholt?« Eine kalte Wut mischte sich in seine Worte. Ja, er war unvorstellbar wütend auf Rika, jetzt noch mehr als in seinem Gefängnis in den Dünen. Ihr hysterisches Benehmen stachelte dieses aggressive Gefühl an. Sie hatte ihn verdammt nochmal im Stich gelassen.
    »Ich mache uns erst einmal etwas zu essen. Ich habe seit deinem Verschwinden keinen Bissen mehr herunterbekommen. Nudeln?« Seltsam unsicher ging sie vor ihm her in die Küche und stellte wortlos einen Topf mit Wasser auf den Herd.
    Im Haus war es wunderbar kühl. Die Hitze in den Dünen und auf der Straße hatten seinen Heimweg zur Tortur werden lassen. Jasper holte eine Packung Spaghetti mit Fertigsoße aus dem Schrank, faltete den Pappkarton zusammen und legte ihn zum Altpapier. Direkt auf einen Pizzakarton. Wie lange hatten sie sich keine Pizza mehr geholt? Sie hatte seit seinem Verschwinden keinen Bissen mehr herunterbekommen? Was wurde hier gespielt? Fast automatisch ging er auf Distanz. Ein unangenehmes Gefühl des Misstrauens hatte sich zu ihnen in die Küche gesellt.
    Müde ließ sich Jasper auf die Holzbank fallen. Hinter den Fensterscheiben schien sich ein Unwetter zu sammeln, der Himmel verdunkelte sich bedrückend schnell, und die oberen Kiefernäste im Vorgarten zuckten im aufkommenden Wind. Gleich wird sich diese unerträgliche Spannung entladen, dachte Jasper, und er ahnte, dass dies nicht nur für das Wetter galt.
    Endlich kochte das Wasser, und Rika ließ die langen Nudeln vorsichtig hineingleiten. Jetzt erst setzte sie sich zu ihm. »Schon komisch, dass ich nichts Besseres zu tun habe, als mich an den Herd zu stellen, nicht wahr?«
    Er nickte wortlos.
    »Ich erkenne mich sowieso kaum wieder, seitdem dies alles passiert ist. Ich schwanke hin und her zwischen Euphorie und Depression, wie ein Kind, wie du manchmal.«
    Jasper wollte es am liebsten gar nicht wissen, wollte sich im ruhigen Wasser der Unwissenheit bewegen, statt dem aufkommenden Sturm ins Auge zu sehen. »Was ist denn passiert?«
    Rika starrte ihn an. Ihr Blick war riesig und dunkel, er hatte ihre Augen immer geliebt, nun schien er sich in ihnen zu verirren, weil er nirgendwo einen Funken Wärme entdecken konnte.
    »Ich hoffe, du weißt es wirklich nicht. Warum bist du verschwunden?« Rika stand wieder auf und rührte in der Tomatensoße. Er konnte sehen, dass sie zitterte. »Warst du auf der Flucht oder selbst ein Opfer?«
    Wollte sie ihn auf die Probe stellen? Warum sagte sie nicht einfach, was geschehen war? Er fühlte das Blut in seinen Kopf steigen. Diese hilflose Wut machte es ihm nahezu unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch irgendwie schaffte er es, nach außen hin ruhig auf seinem Platz sitzen zu bleiben. Vielleicht war er auch einfach zu erschöpft.
    »Du weißt tatsächlich nichts«, sagte sie schließlich. Sie goss das weißliche Nudelwasser in den Ausguss, der heiße Dampf schlug in ihr Gesicht. »Leefke, deine geliebte Leefke ist tot. Sie hat sich in der Klinik von der Terrasse gestürzt. Noch eine knappe Stunde hat sie gekämpft, ganz so, als wolle sie eigentlich gar nicht sterben. Doch dann hörte das EKG endgültig nicht mehr auf zu piepen, ich war dabei, hatte Dienst auf der Unfallstation. Es war schrecklich, doch wir konnten

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