Der Brombeerpirat
Besuch bei Veit Konstantins Bruder ergeben?«
»Er ist ein ganz anderer Typ«, erwiderte Britzke. »Vielleicht ein wenig unterbelichtet, wenn Sie mich fragen. Aber absolut harmlos auf den ersten Blick.«
»Und sein Alibi für die Schüsse auf Frau Tydmers?«
»Da hatte er nicht so viel vorzuweisen. Er käme als Schütze infrage, da er zur Zeit, als die Schüsse fielen, angeblich einen Strandspaziergang gemacht hat. Keine Zeugen. Kollegin Lütten-Rass hat sich darüber amüsiert, da Insulaner ihrer Meinung nach nie in der Hauptsaison vormittags am Strand spazieren gehen. Jedoch fehlt uns dann immer noch eine zweite Person.«
»Na, die sollte sich im Familienkreis finden lassen. Viel wichtiger ist ein Motiv! Es wird doch wohl hoffentlich nicht die ganze Sippe auf Wencke Tydmers zielen, wenn der einzige Grund die Wut und das Misstrauen auf deren Bruder ist.«
Meint Britzke blieb stehen und ließ sich in gebückter Haltung das Salzwasser um die Handgelenke fließen. »Sie haben doch von diesem Familienstreit gehört, bei dem die inzwischen selige Alide Konstantin ihre Söhne des Betrugs beschuldigt hat. Jasper Tydmers hatte bei der Aufdeckung auch seine Finger im Spiel.«
»Ja, zwar nur am Rande, aber immerhin. Vielleicht macht es Sinn, diesen Fall noch einmal näher zu beleuchten.«
Meint nickte. »Und auch die näheren Todesumstände von Alide Konstantin würden mich mal interessieren. Es gab schließlich eine ganze Menge zu erben.«
Sanders blickte seinen Kollegen an. Die belebende Wirkung des kühlen Meerwassers schien seinem Kombinationsvermögen gut getan zu haben. »Aber zuallererst sollten wir unsere Kollegin finden«, schlug Sanders vor, und er gab sich alle Mühe, seinen Tonfall kameradschaftlich klingen zu lassen, denn irgendwie schien dies der Situation angemessen zu sein.
Britzke blieb plötzlich stehen und zog sich das Poloshirt über den Kopf. Einen kurzen Moment lang hielt er die blasse und gänzlich untrainierte Brust in den kaum spürbaren Seewind. »Das heißt dann wohl, dass unser kleiner Erfrischungsspaziergang beendet ist, nicht wahr?«
Sanders musste zugeben, dass er Britzke um seine ungenierte Art beneidete, zumindest was den Abkühlungseffekt anging. Es lag ihm jedoch nichts ferner, als sich nun ebenfalls nackt bis auf die Unterhose am Norderneyer Hauptbadestrand zu präsentieren. Das ging entschieden zu weit.
Britzke ließ den Stoff wieder über den Oberkörper gleiten, dann zogen sich beide die Hosen an und gingen hinauf zur Strandpromenade.
Die Hitze hüllte sie augenblicklich wieder ein.
»Was meinen Sie, wird es heute noch ein Gewitter geben?«, fragte er Britzke. Eigentlich war es ganz und gar nicht Sanders’ Art, über das Wetter zu plaudern, doch es fiel ihm nichts anderes ein, was die Situation weniger peinlich hätte machen können.
23.
Mutterseelenallein war ein ziemlich spießiges Wort, jedoch kam Pinki nicht umhin, sich in diesem Moment genau so zu fühlen.
Die Jungs hatten auf ihren Laken Platz für die beiden Touristenmädels freigeräumt, und im selben Moment hatte sie sich auf die Socken gemacht. Keiner hatte ihren Abschiedsgruß erwidert. Was war nur passiert? Hatte sie irgendetwas falsch gemacht?
Zu wenig gelacht vielleicht.
Wohin sollte sie gehen? Wohin ging man, wenn man seine Ruhe brauchte, aber nicht allein sein wollte? Vielleicht shoppen … Pinki brauchte kein neues Teil für ihren Kleiderschrank, wirklich nicht, aber sie wollte eines.
Kleine Kinder sprangen aufgeregt im Strandkiosk herum, weil sie ein Eis wollten und weil sie den altmodischen Segler in der Nähe des Strandes für ein Piratenschiff hielten, das gerade die Insel Norderney überfiel. So etwas Ähnliches hatte Pinki als kleines Kind auch immer gedacht. Jetzt war sie zu erwachsen dafür, stellte sie fest, eine Morddrohung im Strandbeutel machte irgendwie alles anders. Sie kaufte sich eine kalte Cola und eine neue Schachtel Zigaretten. Die Frau hinter ihr verlangte dasselbe.
»Entschuldige, hast du Feuer?«, fragte sie Pinki. Ihre Haare waren superkurz und ziemlich rot, ein Arm steckte in einem Verband. Pinki hielt ein Streichholz an das Ende ihrer Zigarette. Die Frau machte keinen blöden Spruch, dass sie ja eigentlich noch zu jung zum Rauchen sei, sonst sagte das eigentlich jeder, egal, ob er oder sie selbst eine Zigarette im Mund hatte oder nicht. Und die Frau kam ihr auf merkwürdige Weise vertraut vor.
»Danke«, sagte sie. Irgendwie blieben sie dann nebeneinander stehen und schauten
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