Der Bronzehändler
Feldherr!« »Ich weiß. Aber was der Goldhorus befiehlt, muss getan werden. Ich geh zu Peser. Ruft mich, wenn sich das Volk versammelt.«
Der Anführer schlug mit dem Speerschaft gegen das harte Schildleder. Der große Platz war menschenleer. Nur achtzehn Säulen warfen scharfe Schatten auf den Sand. Sokar-Nachtmin fühlte, dass die unheimliche Stille einen anderen Grund haben musste als die Hitze des Tages, aber er kannte die Bedeutung nicht. Er hob die Schultern, und gerade als er in die kühlen Räume der Palastsoldaten zurückgehen wollte, lösten sich die Schatten auf und verschmolzen im leichten Dunst, der sich wie gelblicher Nebel über den Himmel ausbreitete. Die Löwen schliefen reglos im Schatten. Noch nie hatte er so etwas gesehen; es waren nicht die Vorboten eines Sandsturms. Er hob die Hand und rief unterdrückt:
»Der Nebel bricht die Kraft der Sonne. Vielleicht bekommen wir eine kühle Nacht.«
Er kniff die Augen zusammen, weil er im Dunst winzige schwarze Punkte zu sehen glaubte. Nachdem er eine Weile zwischen Mauern und bewegungslosen Bäumen in die Höhe gestarrt hatte, murmelte er einen Fluch und ging weiter. Die Hitze narrte seine Augen. Er leerte mit Peser einen Krug dünnes, kaltes Bier und prüfte die Spitzen der Pfeile. Der greise Bogenschütze legte das Ende der schweren Nehesiwaffe um seinen linken Knöchel, bog den Bogenschenkel ums rechte Knie und hängte, ohne zu zittern, die Schlaufe der Sehne ein.
»Das Ende durch den Pfeil ist eine Gnade des Goldhorus«, murmelte er. »Sie verdienen jeden Tag einen anderen Tod, voller Qualen und Schmerzen.«
»Ich denke, dass man sie lange genug geschunden hat. Warte, bis du sie siehst. Und – niemand gibt ihnen ein Grab. Ihr Leben endet heute. Kein Leben im Seelenland.«
»Meine Pfeile werden sie treffen, Feldherr.«
»Ich sehe, dass du nur zwanzig Pfeile geschärft hast. Noch immer so zielsicher, alter Peser?«
»Noch immer. Von zehn Pfeilen treffen neun. Mindestens.«
Schweigend, fast lautlos hatten sich die Bewohner Itch-Tauis versammelt. Sokar-Nachtmin, der mit zwei Dutzend Soldaten am Ende der unfertigen Treppenrampe stand, schätzte mehr als dreieinhalbtausend. Zwischen dem Podest, auf dem drei Sessel standen, und den Steinsäulen hatten die Soldaten einen fächerförmigen Platz abgesperrt, ebenso einen Gang von der südlichen Palastmauer aus, bei den Lagerhäusern, der in dieses leere Dreieck mündete. In der Luft lag ein fadendünnes Sirren und Summen, ein ganz anderer Laut als das flüsternde Murmeln unzähliger Menschen. Sie warteten schwitzend und unbewegt; selbst der winzigste Hauch des Tageswindes hatte sich gelegt.
»Seltsam. Unbegreiflich«, flüsterte Sokar-Nachtmin. »Ich wünschte, der Tag war zu Ende.«
Aus dem Palast dröhnten schwere Trommelschläge. Die Menschenmenge geriet in Bewegung, als Fanfarenstöße die Stille zerrissen wie schartige Sägen. Die Tore schwangen auf; es kamen Sandalenträger, Fächler mit Straußenfeder-Wedeln, die Einzigen Gefährten des Goldhorus, Tatji Ikhernofret im Tragsessel, dann Chakaura mit der weißroten Doppelkrone, Geißel und Stab in den Händen, mit Schmuck behängt, den zeremoniellen Bart am Kinn. Hinter ihm schritten seine Gemahlin und seine Schwester, ihnen folgten Palastangehörige. Als sich die Gruppe um die Sessel aufstellte, sanken die Menschen murmelnd in die Knie. Kinder aus dem Palast, lange Zöpfchen über den Ohren, streuten Lotosblüten. Trommeln und Fanfaren schwiegen, als Chakaura langsam bis zum Rand der Plattform trat. Sokar-Nachtmin hob den Arm und schwenkte die Kampfaxt. Der Unterführer am Rand der Mauern gab ein zweites Signal.
Chakaura kreuzte die Arme. Sechem-Zepter und Nechech-Geißelperlen klirrten. Er ließ den Blick über die Menge gleiten, richtete sich auf und begann zu sprechen. Seine Stimme hallte von der Palastmauer wider; sie klang wie Muschelschalen, die unter Fußtritten zersplittern.
»Ich bin der Herrscher, der Gesetze erlässt und ihnen Achtung verschafft. Ich bin Gesetzgeber und Oberster Richter, der jedes Gebot der Hepu-Worte achtet. Siebzehn Männer und eine Bastet-Priesterin, deren Namen getilgt wurden, haben die Ruhe der Gräber gestört, die Gaben für das Leben im Jenseitsland gestohlen, die Uschebti-Arbeiter zerschlagen, Gold und Schmuck, Besitz derer, die im Seelenland sind, an sich gerissen. Man hat sie gefasst, sie wurden befragt und abermals befragt, während man sie peitschte; viele Männer und Frauen bezeugen, was sie getan
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