Der Bronzehändler
kleinen Schwärmen umkreist und von Heuschrecken bedeckt, zertrat mit jedem Schritt Dutzende der braunen Tiere. Sokar blieb bei Peser stehen, der über sein Gesicht wischte und den nächsten Pfeil auf die Sehne legte. Der Greis wirkte auf unbegreifliche Art fremd, so, als gäbe es für ihn den Überfall der Schwärme nicht. Kopfschüttelnd lief Nachtmin weiter und sah, wie an zwei Stellen der Palastmauer Öl ausgeschüttet und verbrannt wurde; Sklaven schichteten trockenes Schilf auf und hielten Fackeln daran. Menschen rannten kreischend durch die Gassen. Selbst das Wasser des Hafens war eine Handbreit hoch mit Heuschrecken bedeckt; sie saßen auf Mauern, Säulen und Dächern und fraßen alles, was grün war. In der Luft kreisten dichte Wolken, die sich auflösten und wieder zusammenfanden und zu den Kanälen, dem Schilf und dem fernen See schwirrten. Soldaten schlugen mit Schilden auf den Boden und zerquetschten unzählige Tiere, wateten durch einen Brei aus zermalmten Körpern und duckten sich unter dem nicht abreißenden Strom, der aus der Wolke fiel, die sich wie ein dunkles Tuch über die Stadt breitete.
Tausende rannten, schrien und fluchten. Die Tiere in den Gehegen gebärdeten sich wie rasend. Die Menschen schlugen mit Matten, nassen Tüchern und Zweigen in die wimmelnde, knackende, summende Masse der Heuschreckenleiber. Die Flammen zahlloser Fackeln und Strohbündel versengten die Flügel der Tiere; in breiten Rinnsalen und großen Lachen brannte Öl. Es stank nach schmorendem Fleisch und Horn. Zwei Stiere hatten sich im Tempel losgerissen und rasten, qualvoll brüllend, halb blind, durch die Stadt. Jede Handbreit Mauern, Säulen, Sand, Treppen und Dächer war mehrere Finger hoch von Insekten bedeckt; im Hafenwasser und in den Kanälen ertranken sie Schicht um Schicht. Sokar-Nachtmin, der sich in einen Eingang gerettet hatte, sah eine Palme aus dem wimmelnden Wirrwarr auftauchen: der Baum wirkte, als sei er seit Jahren abgestorben.
Jedes Stück Grün fehlte; das Gras war dort, wo die Insekten aufschwirrten, verschwunden. Der Bogenschütze, zwei Steinwürfe weit entfernt, bückte sich nach dem letzten Pfeil und zog ihn aus dem klebrigen Brei sterbender Heuschrecken, schüttelte sie vom Bogen und tötete den letzten Gefesselten. Peser senkte den Kopf und näherte sich, bis auf das Gesicht von zuckenden Heuschrecken bedeckt, dem Heerführer.
»Sie sind alle tot, Neb Sokar-Nachtmin.« Er spuckte Fetzen von Heuschreckenflügeln aus. »Es ist ein schlimmer Tag für Itch-Taui.«
»Geh ins Haus und wasch dich.« Sokar-Nachtmin wirbelte eine nasse Decke über seinen Schultern und klatschte sie auf das Gewimmel vor dem Eingang. »Die nächsten Tage werden noch übler!«
Überall dort, wo die Heuschrecken nichts zu fressen fanden, surrten sie auf und drängten nach Westen, zu Feldern, Sümpfen und Weiden. An hundert Stellen brannten Feuer und qualmten dicke Rauchwolken. Sklaven und Diener schlugen auf die Heuschrecken ein, fegten sie von Mauern und Rampen. Der Dunst hatte sich aufgelöst. Eine riesenhafte Sonne sank im wolkenlosen Himmel; im Süden, Westen und Norden der Stadt drehten sich braune Wolken und Wirbel. Vögel kamen aus den Verstecken und begannen die Heuschrecken zu fressen.
AN GAUFÜRST NEFER-HERENPTAH, obersten Heri-Udjeb im Zwei-Falken-Gau, Lenker der Verwaltung und Herr der Stadt Geb-Teju: Von deinem Freund Merire-Hatchetef; dem, der alle Geheimnisse des Tempels und Palastes kennt und vieles aufschreibt. Durch königliche Boten auf dem Hapi.
Wohlergehen, Grüße und Lobpreisungen dir, Sammler von Ehrungen, Zähnen und Kiefern. Nun ist die Plage von Millionen Heuschrecken vom Land des vorderen Naretbaum-Gaues und der Stadt Itch-Taui genommen worden:
Die Vögel im abgefressenen Schilf und die Fische im See und in den Kanälen sind fett und gemästet. In Öl gebraten und lecker gewürzt aßen Bauern, Arbeiter und Stadtbewohner unzählige Schalen voll Heuschrecken. Ich nicht; mir hat's gegraust. Die Schäden an Saat und Ernte waren beträchtlich, aber viele Stellen scheinen sich zu erholen und bieten dem Auge tröstliches Grün.
Ich befinde mich wohl, lese und schreibe viel und versuche noch immer zu verstehen, nach welchem göttlichen Muster das Gewebe zwischen Menschen und ihrem Tun, den Gesetzen der Welt und dem Unsichtbaren sich färbt und ordnet.
Sieben Tage und Nächte lang verwüsteten die Heuschrecken unser Land, und in diesem schwer verständlichen Schrecken ging die Bedeutung der
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