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Der Bronzehändler

Der Bronzehändler

Titel: Der Bronzehändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Goldhorus.«
    Er schloss die Augen und rief aus seinem Gedächtnis zurück, was er auf der vorletzten Shafadurolle geschrieben hatte. Leise wiederholte er seine Worte.
    »Im dritten Mond der Jahreszeit Peret, im Phamenat, verlieh der Goldhorus in seinem sechzehnten Jahr der Kush-Festung, die er prächtig und machtvoll hatte bauen lassen, den Namen Chesef-Iunu – ›die Erdhöhlenbewohner werden erschlagene Diese Festung, inmitten der Stromschnellen auf einer Hapi-Insel, sichert südlich von Iken und der ›Zwingburg der Oasen-Bewohner‹ die Grenze. Mit reicher Beute und Tausenden Kriegsgefangenen, Nehesi-Kindern und Kush-Frauen, die verteilt wurden an die Bewohner zwischen Suenet und Men-nefer, kehrte Chakaura an der Spitze des siegreichen Heeres zurück und zeichnete jeden, der gekämpft hatte, mit Titeln und Lehen aus, am meisten aber den Obersten Feldherrn Sokar-Nachtmin.«
    Merire fächelte sich Luft zu und schloss die Augen. Bilder, Geschehnisse und Menschen zogen durch seine Gedanken, langsam wie Binsenboote oder eine Karawane schwerbeladener Esel: Der Goldhorus begann sein einundvierzigstes Lebensjahr; sein Sohn Ameni wuchs und gedieh, seiner Mutter Nofret hatte man ein würdiges Totenfest bereitet, und man flüsterte im Großen Haus, die Gemahlin Sat-Hathor sei abermals schwanger. Ptah-Netjerimaat schrieb, dass Karidon nahe der Hapimündung überfallen worden war. Ptah führte jetzt das Schiff. Gaufürst Nefer-Herenptah trug einen neuen Titel: Engster Vertrauter des Goldhorus. Merire beugte sich zur Seite, wischte Gesicht, Oberarme und Brust mit einem nassen Tuch ab und stellte die Beine ins kalte Wasser einer Schale; als er die Finger kühlte, spürte er genügend Erleichterung, um weiterschreiben zu können. Er zählte jeweils zwanzig Tropfen Wasser ab, die in die Tuscheschälchen fielen. Mit einem zerfaserten Holzspan rührte er die Tusche glatt, kaute die Spitze des Riedgriffels weich und schrieb.

    ICH, MERIRE-HATCHETEF, im vierundvierzigsten Jahr meines Lebens, beginne mit der Niederschrift dessen, was während des Wechsels vom Jahr 20 zum Jahr 21 des Goldhorus, nach dem Tod des Tatji Ikhernofret, geschah und geschieht:

    Aus der aufstörenden Betriebsamkeit des Lebens außerhalb des Tempels bin ich endgültig geflüchtet in Einsamkeit, die mir leicht geworden ist; nichts besorgt mich mehr, man bringt mir alles, was ich brauche, und nun, da die Aufregung der Jugend nicht nur Wein und Bier zu ruhiger Süße und Würze vergoren hat, ward einfacher, was ehemals undurchschaubar und unüberwindlich schien, auch das Leben der Sinne in den Nächten. Mir scheint mitunter, ich schriebe für meine Freunde und mich selbst, und um das lautlose Verströmen der Jahre mit weniger Staunen, Betroffenheit und Weh betrachten zu müssen. Verschwiegen bin ich gegenüber allen, denn nur auf den Shafadurollen soll zu lesen sein, was ich, dürstend nach dem Leben außerhalb des Tempels, erfuhr, was ich dachte, was man mir unter dem Siegel der Vertrautheit erzählte – oft wundert's mich, wie machtvoll Geheimnisse aus den Herzen der Menschen sich ins Licht des Rê-Harachte drängen und den Pfad auf meine Shafadurollen finden.
    Manche Befehle und Gesetze aus dem Per-Ao scheinen rätselvoll und nicht auf das Maß und die Waage der Maat einzugehen; aber was die Götter und die Klügsten entscheiden, braucht nicht begründet zu werden, sagt man. Ich, der beste Schreiber zwischen der zweiten südlichen Stromschnelle und dem Großen Grünen, habe lernen dürfen, dass oftmals weniger Worte einen Bericht genauer werden lassen als zu viele Zeichen auf geduldig raschelndem Binsenmark. Nun gliedere ich wieder Namen und Orte, Gesagtes und Gehörtes, lese Briefe und ...«

    Eine Hand berührte sacht seine Schulter. Merire blickte auf; Redjedet, der junge Tempelschreiber, verbeugte sich.
    »Es ist Besuch für dich draußen, Herr der Silben.«
    »Bring ihn herein – wer ist es?«
    »Er hat seinen Namen nicht genannt. Er ist dein Freund, sagte er. Ein großer, fremder Mann mit viel Grau im langen Haar.«
    »Ich warte auf ihn. Bring uns Bier und Wein, ja?«
    »Sofort. Brauchst du mich heute noch?«
    »Nicht mehr zum Schreiben, Redjedet.«
    Merire-Hatchetef legte die Hände auf die Knie, stemmte sich hoch und straffte seinen Körper, indem er sich auf dem Tisch abstützte. Eine Gestalt versperrte das Sonnenlicht in der Tür, die Kupferplatte wurde stumpf; blinzelnd erkannte Merire seinen Besucher.
    »Ich wusste aus Briefen und von Boten,

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