Der Bronzehändler
Anrufungen ins große, steinerne Ohr des Ptah flüstern durften. Chakaura ging geradeaus, die Priester kamen, in zwei Reihen hintereinander, aus der dämmerigen Tiefe, zwischen farbigen Bilderschriftwänden hervor und nahmen den Dienern die Weihegeschenke ab.
»Betritt, o Herr beider Länder, das Haus deiner göttlichen Eltern«, sagte der Oberpriester und verneigte sich. Chakaura wartete und folgte ihm, das Sekhem-Zepter und die Nechacha-Geißel in den Händen der gekreuzten Arme. Das Tor schloss sich, als sei es für immer und ewiglich. Chakaura zuckte zusammen. Ihn fröstelte, er roch die Ausdünstungen der Mauern und trocknender Farben, feuchtes Mauerwerk und bitteren Ruch erkalteten Weihrauchs, der sich an Pfeilern und Wänden niedergeschlagen hatte und an den Statuen der Götter und Vorfahren haftete. Tagesgrelle und Schatten, in denen sich alle Farben und Umrisse verloren, wechselten einander ab: eine Rampe führte in hallenartige Räume, in einen Hof, wieder hinaus, durch einen Säulengang, vorbei an vielen göttlichen Verkörperungen: Menschen, Tiere, Tierleiber mit Menschenköpfen, Menschenleiber mit Tierköpfen, Gotteswesen und gelbe, schwarze und weiße Steinsockel: hinunter in ein Gewölbe voller Scheintüren und endloser Texte an Wänden, die Rußzungen trugen von Fackeln und Öllampen: geradeaus, nach links, nach rechts und in den Säulensaal mit den Abbildungen der Gestirne an der dämmerigen Decke.
Chakaura ging langsam an den Standbildern der Hapigötter vorbei, gefolgt von den Priestern, die Öl und Wein trugen, Speisen und Blüten. Das Portal ins Dunkel des allerheiligsten Opferraums schwang auf; Chakaura blieb taumelnd stehen. Schweigende Priester trugen die Opfergaben zum Steinblock und legten sie nieder. In kupfernen Glutkörben schwelte Weihrauchharz, brodelte und kroch wie Nebel umher, ließ Bilder und Schriftzeichen wirbeln und biss in den Nüstern.
Ein junger und ein alter Diener des Ptah und der löwenköpfigen Sachmet lockerten die Riegelgriffe des Schreins, zogen sich rückwärtsgehend zurück und schlossen die massige Bohlentür hinter Chakaura, der einige zögernde Schritte machte. Urgott Atum, der sich im Chaos des Nun-Ozeans selbst erschaffen und Schu und Tefnut, Luftraum und Wasserwelt, aus sich hatte entstehen lassen, sah schweigend zu, wie Chakaura den Schrein öffnete: nun konnten sich die Götter mit ihren Abbildern vereinigen. Schweigend berührte Chakaura die Kultgeräte. Die Weihrauchdämpfe ließen seine Gedanken schwimmen und zeigten ihm fremdartige, huschende Bilder; Erdgott Geb, Himmelsgöttin Nut, von Schu getrennt, der Isis und Osiris gebar, Nephthys und Seth, die göttliche Neunheit von Iunu. Ptah, Erdgott und Träger aller Werkstoffe, die löwenköpfige Sachmet und Nefertem, der Schöne Vollkommene. Schließlich der Horus Re, dessen Sohn Chakaura war, seit er auf dem Thron saß.
Wirklichkeit und Wachtraum wirbelten durcheinander und flossen ineinander. Das summende Gebet der vielen Priester schien die Säulen zu erschüttern. Die goldenen Gegenstände in Chakauras Fingern fühlten sich wie körniger Sand an, die Haut seines Gesichts glühte.
»Ihr Götter«, murmelte er und vollzog die Opfer von Öl, Blüten, Früchten, Bier und Wein. »Ihr habt mich eingesetzt, als Verwalter des Landes, als trefflicher Hirte der Rômet. Nur euch bin ich, der das Gottkönigtum verwaltet, verantwortlich. Betend und flehend, hoffend und als Sohn meines göttlichen Vaters steh ich vor euch. Ich vertrete euch, die Götter, im Tameri-Reich. Gebt mir ein Zeichen, dass richtig ist, was ich tu, denn ich zertrete Blüten und Menschen, Land und Steine auf meinem Weg des göttlichen Rechts.«
Wuchtig und stumm umgaben ihn die irdischen Abbilder unfasslicher Gottheiten. Der Gesang aus den steinernen Höhlen, an deren Ende sich die Allerheilige Kammer befand, wurde lauter. Chakaura glaubte, die Anwesenheit der Maat zu spüren, der göttlichen Ordnerin der Welt, Wägende des Schlechten und Guten, Falschen und Richtigen, Würdigen und Maßlosen. In den Zügen der Götter war nichts zu lesen; es gab keine Gewissheit. Die Toten im Gau der Gazelle, die Gefangenen für die Goldbergwerke? Gaufürst Pinednefer: von seiner Leibwache erdolcht, die Soldaten übergelaufen. Frieden im Zweiten Zeptergau: Fürst Sennedjem, der auf die Verbannung nach Wawat oder ein schlimmeres Ende wartete. Chakaura hob die Schultern, ihn fror. Kraftlos sank er auf die Knie und verharrte.
Hinter den Weihrauchschwaden
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