Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
er erbricht Blut, kippt vornüber. Er wälzt sich auf den Rücken, sein Brustkorb wölbt sich – Maria Anna stürzt schreiend die Stiege herab, ruft ihn beim Namen, immer wieder. Dann wird es plötzlich still an diesem 31. August 1802.
Kalt ist ihm, dem Buchdrucker der Medici, er klammert sich an den Freibrief.
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Zornesröte steigt Wagner ins Gesicht. Ist es zu fassen? Hinter seiner Stirn hämmern die Sätze:
„Aus Freiburg im Breisgau geboren kam ich 1792 nach Innsbruck und wurde im Jahre 1802 Bürger der Stadt und Mitcompagnon der Wagnerschen Buchhandlung, wo ich dann im darauf folgenden Jahre die Handlung und Druckerei gänzlich an mich brachte.“
Was fällt dem Schwaben ein, zugefallen ist ihm die Offizin! Wer ist der Mann überhaupt? Ein kleiner Buchhalter, Michael Alois hatte ihn eingestellt. Nun hat er die Firmenleitung inne, Casimir Schumacher, eines Zollamtoffizials Sohn. Bringt er denn die Befähigung mit? Hat er überhaupt die Kunst des Buchdrucks erlernt?
Wagner vergräbt das Gesicht in den Händen. Alles kehrt wieder. Plötzlich sieht er die Gächin auf dem Totenbett liegen, in ihren Armen seinen nach wenigen Wochen verstorbenen Sohn. Glich er nicht Peter Michael? Die Barbischin taucht auf mit Jakob Christoph, Michael Anton, Johann Nepomuk. Und Michael Alois – warum nur? Mehr als 160 Jahre lang bestimmte die Familie das Druck- und Buchwesen der Stadt. Nun steht die Offizin mit einem Mal ohne männlichen Nachfolger da. Maria Anna! Zwölf Jahre war sie alt, als ihr Vater starb, drei Geschwister und ihre Mutter hatte sie schon verloren. Um ein Jahr überlebte sie ihren Vater, sie war die letzte – Wo ist ihre Stiefmutter? Wagner kann sie nicht finden.
Drei Monate vor Michael Alois’ Tod hatte Schumacher die Schwester von Maria Kunigund geheiratet. Wäre er auch mit einer Schwester von Michael Alois’ zweiter Frau vor den Traualtar getreten, um –
Natürlich ist er als Schwippschwager die erste Wahl. Schumacher ist tüchtig, zweifelsohne, ist in kurzer Zeit zu einer angesehenen Persönlichkeit geworden. Bürgermeister ist er und hat es als solcher nicht leicht. Davon zeugt sein eigenhändig verfasster Lebenslauf:
„Als im April 1809 die Bauern Miene machten die Innbrücke den bayrischen Truppen wegzunehmen, erhielt ich von der Regierung den mündlichen Auftrag mit den Befehlshabern dieser Mannschaft eine Art von Kapitulation abzuschließen, die aber nicht zustande kam, die Brücke wurde gleich darauf weggenommen, und ich musste mich, um nicht zwischen zwei Feuer zu kommen, in das Regierungsgebäude flüchten, nach einiger Zeit ging ich von da weg gerade auf das Rathaus, um für die Verpflegung des eingerückten Landvolks zu sorgen. Nachdem dieses geschehen war, ging ich nach Hause, fand aber mein Wohnhaus von meiner Familie verlassen, und die besten Habseligkeiten entfremdet.“
Was ist bloß in die Bauern gefahren? Nennen sich Tiroler und ziehen plündernd durch die Stadt, als hätte das Land nicht mehr zu bieten als Täler und Berghöfe. Wagner ahnt, der Mob würde auch ihm, dem gebürtigen Bayern, das Messer an die Kehle gesetzt haben. Aber der Buchmarkt hält nicht an, nur weil Bauern verrückt spielen. Mehr als deren Aufstand interessiert ihn die Offizin. Sie ist sein Kind und wird es immer bleiben, mag ihr Leiter heißen, wie er will.
Dann eben mit Schumacher, egal. Für Gefühlsduselei ist keine Zeit. Auch hier kennt der Buchmarkt kein Verweilen. Hauptsache, der Betrieb geht weiter. So man ihn denn lässt. Ein weiteres Mal werden die Druckerei und die Buchhandlung überfallen. Glühen dem vermeintlichen Kollaborateur Schumacher noch die Backen von den Ohrfeigen der Bauern, so wird er nun von den Bayern und Franzosen abgewatscht. Proklamationen und Zeitungsberichte hat er nach Geschmack der jeweils okkupierenden Macht anzufertigen. Und kaum hat ein Schriftstück die Presse verlassen, setzt es erneut Prügel. Schumacher wird in den Karzer geworfen. Zwar kommt er nach einigen Tagen wieder frei, aber Bürgermeister will er nicht mehr sein. Der aufgeregten Bauernhorden müde, legt er sein Amt nieder.
Wagner schüttelt verständnislos den Kopf, einer Sache ist er sich ganz sicher: Das Jahr 1809 wird als eines der verworrensten Kapitel in die Tiroler Geschichte eingehen und hoffentlich schnell vergessen.
Ist die Geschichte des Büchermachens nichts anderes als eine Geschichte der Zensur? Schon als Wagner 1639 seine Offizin einrichtet, ist ihr erster Gast ein Zensor. Auch bei seinen
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