Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
Enkeln und Urenkeln und durch alle Jahrhunderte herauf erblickt Wagner Behörden, die den Handel mit Büchern unterbinden wollen. Fürchten sie denn so sehr ein lesendes Publikum?
Das Wesen der Zensur braucht man Wagner nicht zu erklären. Er ist damit groß geworden. Lebhaft erinnert er den Schlossherrn Hans Wolf Zech, der als Zensor die Augsburger Offizinen perlustrierte. In Innsbruck musste er jede gedruckte Zeile den Obrigkeiten vorlegen. Und was sie übersahen, erspähten die Jesuiten. Wagners Nachkommen erging es nicht besser. Unter Maria Theresia entstand die erste zentrale Zensurstelle, bis zum Tod der Monarchin wurden beinahe 5.000 Bücher verboten. Ihr Sohn ließ „alles, was ungereumte Zotten enthält, aus welchen keine Gelehrsamkeit, keine Aufklärung jemals entstehen kann“, ausmustern. Vernünftiges – und beinhalte es begründete Kritik am Kaiser – durfte bleiben, wodurch sich der Index auf 700 Werke reduzierte. Kaum aber hatte man Josef II. in die Kapuzinergruft hinabgesenkt, zog sein Nachfolger die Zügel schmerzhaft an. Zur Abschreckung wurde die Zensur in die Verantwortung der Polizeihofstelle übergeben. Was sich jedoch jetzt zuträgt –
Schumacher ist außer sich vor Wut. Soeben hat er die Zensurverordnung vom September 1810 erhalten. Wagner sieht ihn in er Offizin hin- und herhetzen. Immer wieder hält Schumacher inne, atmet tief durch, starrt auf die Verfügung. Dieser Schrieb sei eine Frechheit, donnert er, eine absolute Sauerei. Da seien ihm die Bauerntölpel noch lieber als diese Narren in Wien. Warum er so dämlich grinse, faucht er den Druckerlehrling an. Von diesem Wisch hier hänge auch seine Zukunft ab, höre er zu! „Kein Lichtstrahl, er komme, woher er wolle, soll in Hinkunft unbeachtet und unerkannt in der Monarchie bleiben oder seiner möglichen nützlichen Wirksamkeit entzogen werden.“
Der Lehrling schaut Schumacher fragend an, der packt ihn kräftig am Ohr. „Aber mit vorsichtiger Hand sollen auch Herz und Kopf der Unmündigen vor den verderblichen Ausgeburten einer scheußlichen Phantasie“, der Lehrling schreit auf, „und vor den gefährlichen Hirngespinsten verschrobener Köpfe gesichert werden.“
Schumacher wirft das Dekret zu Boden und stapft aus der Werkstatt. Wagner bückt sich nach dem Blatt. Zahlreiche Paragrafen umfasst die Verordnung. Vor allem auf belletristische Werke haben es die Zensoren abgesehen. „Es soll daher allen Ernstes getrachtet werden, der so nachtheiligen Romanen-Lektüre ein Ende zu machen“, liest Wagner und vom „endlosen Wust von Romanen, welche einzig um Liebeleyen als ihre ewige Achse sich drehen.“
Friedhofsruhe breitet sich in Innsbruck aus. Die Zensur findet in der Behaglichkeit eine willige Begleiterin. Das Bürgertum gefällt sich im Lecken der Wunden, die ihm die Kriege gegen Napoleon zugefügt haben, und lässt die Stadt zunehmend verkommen. Wagner ekelt sich davor, durch die Gassen zu gehen. Er ist vieles gewöhnt, aber – Aus allen Ecken Gestank, Kehrichthaufen, wohin das Auge reicht. Die Straßen sind in liederlichem Zustand, das Pflaster herausgerissen. So mancher Stein diente den Bauernhorden als Waffe. Als Wagner am Innufer entlangspaziert, glaubt er sich einer Ohnmacht nah: Die Auen sind von Kloaken durchzogen.
Geistig regt sich ohnehin nichts mehr. Scheu blickt Wagner Richtung Bücher-Revisionsamt. Ist wieder ein neues Register eingetroffen? Auf den Handel mit verbotenen Werken stehen bis zu 500 Gulden Geldstrafe und dreimonatiger Arrest. Im Wiederholungsfall droht der Verlust der Konzession.
Kreidebleich kehrt Schumacher jedes Mal vom Amt in die Offizin zurück. Aus dem Ausland eintreffende Büchersendungen müssen sofort revidiert werden, brüllt er. Auf eigene Kosten, versteht sich, fügt Wagner hinzu. Leid tut ihm der Schwabe nicht. Er hat sich am Wagner’schen Tafelgeschirr bedient und den Teller randvoll mit Suppe geschöpft. Nun muss er aufpassen, dass er nicht kleckert. Das Buchgewerbe ist keine Ämterlaufbahn. Bürgermeister werden kann jeder, solange er nicht vergisst, die richtigen Hände zu schütteln.
Leicht hat es Schumacher nicht. Das Schicksal stellt ihn vor harte Prüfungen. Seine erste Tochter stirbt wenige Tage nach der Geburt. Auch seine Gemahlin ist ihm früh gegangen, die Schwester Maria Kunigunds. Hielt er die Hand der Frau, die ihm die Tür zur Offizin geöffnet hatte? Wagner hat es nicht gesehen, er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Als er aber Schumacher am Grab erblickt,
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