Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
errichtete Gymnasium. Immer noch gilt Latein als Hauptfach, das Griechische allerdings weicht anderen Fächern. Naturgeschichte steht auf dem Lehrplan. Wagner schüttelt verwundert den Kopf, gibt sich lieber seinen Gespinsten hin. Das Druckerhandwerk könne der junge Spross im väterlichen Betrieb lernen. Dann aber müsse er ins Deutsche. Dort werden die Weichen für morgen gestellt. Weiterhin ist Leipzig das Maß aller Dinge. Zwar hat man den Leipzigern erst kürzlich kräftig vor den Bug geschossen, aber allein durch den Messbetrieb halten sie weiterhin die Fäden in der Hand. Immerhin, die Reichsbuchhändler hatten ihre Forderungen formuliert. Zumindest einen Teil davon hatten die Sachsen akzeptieren müssen.
Nebenher hat Wagner von der Entwicklung am Buchmarkt Notiz genommen. Zu groß seine Sorge um die Seinen in ihrem Kampf gegen Trattner. Allmählich scheint es ihm an der Zeit zu sein, sich mit den neuen Begebenheiten vertraut zu machen. Dass es nicht weitergehen kann wie bisher, ist Wagner wahrlich klar.
Die Leipziger Großverleger ruinieren mit dem Nettohandel den Markt. Ihre Strategie ist augenscheinlich. Kleine Auflagen drucken sie und treiben damit den Preis in die Höhe. Dann posaunen sie ihre Novitäten durch Journale und Zeitungen und machen durch ihr Geschrei noch das schlechteste Buch bekannt. Das Publikum, das immer Novitäten haben will, bestürmt die Buchhändler, möchte die neuen Wunderwerke sehen. So bleiben den Sortimentern nur die Möglichkeit, aufs Geratewohl hin einzukaufen, und die Hoffnung, die Ware wieder absetzen zu können – ehe die Leipziger durch bezahlte Rezensionen ein neues Mirakel aus der Taufe heben.
Wagner kann die Stoßseufzer der Buchhändler verstehen. Wo will das hinaus, fragen sie sich. Mit Bestürzung sehen sie die Ballen bedruckten Papiers anrollen, der größte Teil darunter Makulatur. Doch ordern müssen sie das Zeugs, um konkurrenzfähig zu bleiben. Allerdings ist es auch unmöglich, durch den Tauschverkehr ein möglichst vollständiges Lager zu besitzen. Und welcher Buchhändler kann es sich noch leisten, den Kunden ein halbes Jahr warten zu lassen, bis er das Bestellte von der Messe mitbringt?
Dass das ganze Jahr über ausgeliefert werden muss, leuchtet Wagner ein. Auch der Forderung der Reichsbuchhändler, unverkaufte Exemplare zurückzunehmen, kann er etwas abgewinnen. Allerdings schlagen zwei Herzen in seiner Brust. Liegt das Risiko damit nicht beim Druckerverleger? Egal. Michael Alois hat die Offizin nach den neuen Kommissionsregeln auszurichten! Und sein Sohn muss von Anfang an lernen, was es heißt, à condition zu handeln.
Was hat der Junge? Will nicht essen, nicht trinken, würgt alles sofort heraus, Durchfall plagt ihn, ganz wund ist er schon.
Bedrückt beobachtet Wagner den jüngsten Familienspross, eineinhalb Jahre ist er alt, Peter Michael sein Name. Eine seiner Schwestern ist im Alter von 33 Wochen gestorben, er wird doch –
Mit halbgeschlossenen Lidern schläft er, wälzt sich im Bett immerzu, verzieht den Mund im Schlaf. Berührt ihn seine Mutter, zuckt er zusammen, dann wird sein Blick stier, und so unheimlich rollt er manchmal die Augen. Plötzlich beginnt er zu krampfen, strampelt wie um sein Leben. Peter Michael beißt wild um sich, schnappt nach Luft, schluckt sie hinunter, sein Bauch bläht sich auf. Das Gesicht verzerrt sich zur Fratze, blausüchtig die Haut, über die Lippen tritt schaumig der Speichel.
Ist der Anfall endlich vorüber, nach wenigen Minuten bisweilen, oft dauert er eine Stunde lang, lagert Maria Kunigund ihren Sohn mit erhöhtem Kopf, wie der Doktor es empfohlen hat. Gerne würde sie Peter Michael im Arm wiegen, der Arzt rät davon ab, jede Reizung des Gehirns sei zu vermeiden. Der Kleine habe die Gichter, erklärt er.
Das will Wagner nicht akzeptieren, schickt den Quacksalber weg! Obschon er weiß, gegen die Krankheit ist wenig zu machen, schlagender Jammer nennt man sie auch, oder Fraisen. Ob Alt, ob Jung, niemand ist vor der Gichter gefeit. Kein Monat, in dem ihr nicht irgendwer erliegt, im Spätsommer und im Herbst ist die Sterblichkeitsrate besonders hoch. Viele hatte Wagner kennen gelernt, die an der Gichter erkrankt waren, stets hatten sie über ähnliche Symptome geklagt: schreckliche Zahn- und Ohrenschmerzen, ein Brennen auf der Brust, Erbrechen und Ohnmacht. Die schlechte Kost, die hygienischen Verhältnisse wurden als Ursache der Beschwerden genannt, bereits Guarinoni hatte ihn und die Barbischin vor der
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