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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Jamila und ich uns fortschlichen, um im Garten mit einem Besenstiel und einem Tennisball Kricket zu spielen. Hinter dem ganzen chinesischen Getue verbargen sich Dads Einsamkeit und seine Sehnsucht nach einer inneren Entwicklung. Er mußte mit jemandem über das Chinazeugs reden, das er sich beibrachte. Ich ging morgens oft mit ihm zum Bahnhof, wo er in den 8-Uhr-35er zur Victoria Station einstieg. Bei diesem Zwanzigminutenspaziergang schlossen sich ihm andere Pendler an, meistens Frauen - Sekretärinnen, Verkäuferinnen oder Angestellte -, die auch in der Londoner City arbeiteten. Er wollte darüber reden, wie man seine Seelenruhe findet, wie man sich selbst treu bleibt, wie man sich verstehen lernt. Und ich hörte, wie die anderen ihm in einer Weise von ihrem Alltag, von Freunden, von ihrem Seelenleben und wahrem Ich erzählten, in der sie bestimmt mit niemandem sonst über dergleichen redeten. Sie nahmen nicht einmal Notiz von mir und dem Kofferradio, mit dem ich mir die Tony Blackburn Show auf Radio eins anhörte. Je weniger Dad sie verführen wollte, um so mehr verführte er sie. Oft warteten sie hinter der Tür, bis er vorbeiging. Wenn er aus Angst vor den Schuljungen der Realschule, die ihn manchmal mit Steinen und pissegefüllten Eistüten bewarfen, eine andere Route wählte, dann änderten auch sie ihren Weg. Im Zug las Dad seine mystischen Bücher, oder er konzentrierte sich auf seine Nasenspitze, eine wahrhaft mächtige Zielscheibe. Und ständig trug er ein winziges, blaues Wörterbuch bei sich, nicht größer als eine Streichholzschachtel, damit er täglich ein neues Wort lernen konnte. Am Wochenende fragte ich ihn dann nach der Bedeutung von »analeptisch«, »fruktifizieren«, »polyzythämisch« und »orgulös«. Er sah mich an und meinte: »Man kann nie wissen, wann man ein schwergewichtiges Wort braucht, um einem Engländer zu imponieren.«
    Erst als er Eva traf, hatte er jemanden, mit dem er seine Chinasachen teilen konnte, und es überraschte ihn, daß so eine Gemeinsamkeit möglich war.
    Ich nahm an, daß Gott an diesem Samstagabend Eva wiedertreffen wollte. Er gab mir ein Stück Papier mit der Adresse, und diesmal nahmen wir den Bus stadtauswärts, raus aufs Land, wie mir schien. Es war dunkel und eiskalt, als wir in Chislehurst ausstiegen. Ich führte Dad erst in die eine und dann - ich sprach mit großer Autorität - in die entgegengesetzte Richtung. Er war so scharf darauf, endlich anzukommen, daß er sich zwanzig Minuten lang nicht beschwerte; aber dann wurde er äußerst giftig.
    »Wo sind wir? Idiot.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Gebrauch deinen Verstand, den ich dir vererbt habe, du Kretin!« sagte er und zitterte. »Es ist verdammt kalt, und wir kommen zu spät.«
    »Es ist deine Schuld, wenn dir kalt ist, Dad«, sagte ich. »Meine Schuld?«
    Es war wirklich seine Schuld, denn unter seinem Mantel trug mein Vater etwas, das aussah wie ein weiter Pyjama. Den Oberkörper bedeckte ein langes Seidenhemd, das um den Hals herum mit Drachen bestickt war. Dieses Hemd umspannte seine Brust, bauschte sich meilenweit über seinem Bauch und fiel dann auf seine Knie. Dazu trug er eine Pumphose und Sandalen. Aber das eigentliche Verbrechen, der Grund, warum er diesen Aufzug unter dem haarigen Mantel verbarg, war die knallrote, golden und Silber gemusterte Weste, die er über dem Hemd trug. Hätte Mum ihn dabei erwischt, daß er so ausgehen wollte, sie hätte die Polizei gerufen. Schließlich war Gott ein Angestellter im öffentlichen Dienst, besaß eine Aktentasche und einen Regenschirm und sollte eigentlich nicht wie ein Torero im Miniaturformat herumlaufen.
    Zu den Häusern in Chislehurst gehörten Gewächshäuser, große Eichen und Rasensprenger; während der Woche kamen Männer und kümmerten sich um die Gärten. Wir waren von der Gegend so beeindruckt, daß dies für unsere Familie, wenn wir am Sonntag Tante Jean besuchten, ein »Untere-Mittelklasse-Äquivalent« für das Theater war. Wir hauchten Ahhs und Ohhs, malten uns aus, dort zu leben und wie phantastisch es sein würde, das Haus einzurichten und den Garten umzugestalten, um darin Kricket, Federball und Tischtennis zu spielen. Ich erinnere mich, wie Mum Dad einmal vorwurfsvoll ansah, als wolle sie sagen: Was bist du nur für ein Ehemann, daß du mir so wenig zu bieten hast, während andere Männer, die Alans und Barrys und die Peters und Roys, ihre Frauen mit Autos, Häusern, Ferienreisen, Zentralheizung und Juwelen verwöhnen? Wenigstens wissen

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