Der Buddha aus der Vorstadt
Beste überhaupt«, sagte sie.
Aber es dauerte zwei Tage, bevor ich die Bedeutung dieses Angebots begriff. Worum ging es eigentlich? Man hatte mir eine Rolle in einer neuen Fernsehserie gegeben, die die aktuellsten Themen ansprechen würde: Abtreibungen ebenso wie rassistische Überfälle, kurz, Geschichten, die die Menschen erlebten, aber nie im Fernsehen sahen. Wenn ich das Angebot annahm, würde ich den rebellischen Sohn eines indischen Ladenbesitzers spielen. Millionen Menschen sahen sich solche Serien an. Ich würde eine Menge Geld verdienen. Man würde mich überall im Land kennen, und mein Leben würde sich über Nacht radikal verändern.
Als ich den Job und die Rolle schließlich angenommen hatte, beschloß ich, Dad und Eva diese Neuigkeit mitzuteilen. Eine Stunde lang überlegte ich, was ich anziehen sollte, und entschied mich letztlich für ein lässiges, doch nicht allzu aufdringliches Outfit. Beim Anziehen betrachtete ich mich in vier Spiegeln und aus allen möglichen Blickwinkeln. Ich wollte nicht wie ein Bankangestellter aussehen, aber ebensowenig die Nachwehen meines Jammers und meiner Depression allzu deutlich zeigen. Ich trug einen schwarzen Kaschmirpullover, graue Hosen aus weichem, breitem Kord, der eng anlag und keine Falten warf, und dazu schwarze amerikanische Turnschuhe.
Vor Dad und Evas Haus stieg ein Paar aus einem Taxi. Ein junger Mann mit punkigem Haarschnitt trug mehrere schwarze Kisten mit fotografischer Ausrüstung und einen großen Scheinwerfer. Er wurde von einer eleganten Frau mittleren Alters in beigefarbenem Regenmantel begleitet. Irritiert beobachtete die Frau, wie der Fotograf auf mich zeigte, als ich die Treppe hinaufging und klingelte. Der Mann rief: »Sind Sie der Manager von Charlie Hero?« »Nein, sein Bruder«, antwortete ich.
Eva öffnete die Tür. Einen Moment lang war sie verwirrt, weil wir drei zusammen eintrafen. Und im ersten Augenblick erkannte sie mich nicht: Ich mußte mich verändert haben, aber ich wußte nicht wie. Ich wußte nur, daß ich mich älter fühlte. Eva sagte mir, ich solle eine Sekunde im Flur warten. Da stand ich also, sah die Post durch und dachte, daß es ein Fehler gewesen war, Amerika zu verlassen. Ich würde die Rolle in der Seifenoper besser ablehnen und zurückfahren. Nachdem Eva die anderen beiden Besucher begrüßt und ins Wohnzimmer bugsiert hatte, kam sie mit ausgestreckten Armen auf mich zu, küßte und umarmte mich.
»Tut gut, dich wiederzusehen, Eva. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich vermißt habe«, sagte ich.
»Wieso redest du so komisch?« sagte sie. »Hast du vergessen, wie man mit seiner eigenen Familie spricht?«
»Ich fühl mich ein bißchen seltsam, Eva.«
»Schon in Ordnung, Lieber, kann ich verstehen.«
»Das weiß ich. Deswegen bin ich auch zurückgekommen.« »Dein Dad wird sich freuen, dich zu sehen«, sagte sie. »Er vermißt dich mehr als alle anderen, weißt du das? Es bricht ihm das Herz, wenn du fort bist. Ich habe ihm gesagt, daß Charlie auf dich aufpassen würde.«
»Hat ihn das beruhigt?«
»Nein. Sag, ist Charlie heroinsüchtig?«
»Wie kannst du bloß so etwas fragen, Eva!«
»Sei ehrlich.«
»Nein«, sagte ich. »Eva, was ist los? Wer sind diese lächerlichen Typen?«
Sie senkte ihre Stimme. »Nicht jetzt. Es geht um die Wohnung. Man will mich für »Schöner Wohnen« interviewen. Ich will die Wohnung verkaufen und woanders hinziehen. Warum mußtest du auch ausgerechnet heute kommen?« »Welcher Tag wäre dir denn lieber gewesen?«
»Ach, hör schon auf«, warnte sie mich. »Du bist unser verlorener Sohn, der zurückkehrt. Jetzt verdirb nicht alles.« Sie führte mich in das Zimmer, in dem ich vor langer Zeit einmal auf dem Boden geschlafen hatte. Der Fotograf packte seine Kisten aus. Als Dad aufstand, um mich zu umarmen, erschrak ich über sein Aussehen. »Hallo, mein Junge«, sagte er. Um den Hals trug er einen dicken, weißen Kragen, der ihm das Doppelkinn an den Kiefer hochdrückte. »Mein Nacken tut mir verdammt weh«, erklärte er und zog eine Grimasse. »Immerhin hilft mir diese Halskrause, mein Gehirn zu tragen. Es drückt sonst so auf mein Rückenmark.«
Ich mußte daran denken, wie Dad mich, als ich noch klein war, immer überholt hatte, wenn wir durch den Park zum Freibad um die Wette liefen. Und wenn wir Ringkämpfe machten, warf er mich jedesmal auf den Rücken, setzte sich auf meine Brust und zwang mich, zu sagen, daß ich ihm immer gehorchen würde. Jetzt konnte er keine
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